Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
Aber sie wusste, dass Gerhard das wie eine Provokation vorkommen musste. Er würde den Unterton in ihrer Stimme gespürt haben. Es ging wieder los, wie immer, Jahre, die sich wie Jahrhunderte anfühlten. Die gegenseitigen Empfindlichkeiten, der Kampf um Boden. Er hätte jetzt die Reißleine ziehen müssen. Sie hätte sich auch nicht gewundert, wenn er es getan hätte.
Statt dessen sagte er: »Ich bin gegen Mittag da und rufe an.«
»Gut. Ich hol dich am Tor ab. Ich steh da dann schon. Kaltenberg kennst du ja?«
Weilheim
Als Jo aufgelegt hatte, stöhnte Gerhard auf. O nein, wieso wurde er nie klüger? Er erhob sich vom Bett, ging in die Küche und riss eine Tüte Chips auf. Er goss sich ein Bier ein, kein Kaltenberger Bier, sondern sein inzwischen lieb gewonnenes Dachs. Kaltenberg, Jo war also in Kaltenberg. Natürlich kannte er das. Als Biergarten, als schönen Biergarten. Als bayerischen Biergarten. Als letzte Bastion des Bayerntums vor Augsburg. Ein Lichtblick, als er mal eine kurze Zeit im Raum Augsburg gearbeitet hatte und so gar nichts hatte anfangen können mit der Stadt und deren Bewohnern. Nachdem er die Hälfte der Chips verdrückt hatte und das Bier fast leer war, suchte er nach einer Nummer, wählte, und gottlob war Weixler da und klang noch putzmunter.
»Matthias, griaß di, Gerhard hier. Entschuldige die späte Störung.«
»Kein Problem. Ich geh nie vor eins ins Bett. He, Kollege, was tut sich in Weilheim? Ihr habt einen toten Fotografen, hab ich vernommen. Es zwitscherten die Lerchen. Sag jetzt bloß nicht, dass er was mit uns zu tun hat. Ich ertrinke in Arbeit. Bitte verschone mich mit zusätzlichen Aufgaben.«
Matthias! Sie waren zusammen in Ausbildung gewesen. Matthias war der Bedenkenträger, der Vermeider, der Abwiegler gewesen. Aber immer besonnen und sehr klug. Ein Mann von großer Allgemeinbildung und herzensgut. Er kam allerdings bei seinen Untergebenen nicht so gut an. Er war zu klug und wirkte manches Mal arrogant, obgleich er es nicht war.
»Nein, keine Sorge. Ich bin im Begriff, mir zusätzliche Arbeit aufzuhalsen.« Gerhard berichtete vom verletzten Ritter und davon, dass Jo nicht an einen Unfall glaubte. »Hast du was davon gehört aus Landsberg?«
»Warte mal.« Gerhard hörte es rascheln. »Here we go. Ja, tatsächlich. Betriebsunfall! Den Vorgang hat der Fabian Bachmaier in den Händen. So ein ganz alerter Jungspund. Der gibt ungern Arbeit ab. Will sich profilieren. Und was hast du nun vor, mein lieber Gerhard?«
»Stört es dich, wenn ich mich da mal umsehe?«
»Bewahre. Du kennst das ja: Es gibt eine örtliche und eine sachliche Zuständigkeit. Mach von deiner sachlichen nur Gebrauch. Wenn du sonst nichts zu tun hast!« Er lachte.
»Nein. Natürlich hab ich nichts zu tun. Bloß ‘ne Leiche und tausend Motive.«
Am anderen Ende war Lachen zu hören. »Ist sie hübsch?«
»Wer?«
»Na, die Frau wegen der du in meinen Gefilden wildern willst.«
»Ja, hübsch ist sie. Und … und, Matthias, das ist eine lange Geschichte. Wir sollten uns endlich mal auf ein Bier treffen.«
»Klar, machen wir. Ich wohne in Reichling, nettes Dorf da oben hoch überm Lech. Ist zwar ein bisschen weiter nach FFB , aber ist nun mal meine Heimat. Unten am Lech liegt Epfach, da gibt’s die Sonne. Ein richtiges Wirtshaus mit Preisen, von denen ihr da unten am Alpenrand nur noch träumt. Sechs Euro für den Schweinsbraten, zwei dicke Scheiben, wohlgemerkt. Da gehen wir hin. In memoriam der alten Zeiten. Preise wie anno Dunnemals und zwei Kerle von anno Dunnemals.« Er lachte, diesmal wehmütig. »Ach übrigens, Gerhard, wenn du was entdeckst, musst du mich natürlich informieren. Mach’s gut, mein Lieber.«
Als Gerhard am Freitag erwachte, fühlte er sich krank. Ihm war übel. Der Geruch aus dem Tafertshofer Haus hing irgendwie immer noch in seiner Nase. Er fühlte sich zerschlagen, er hatte Halsweh, seine Nase war zu. Als er sich über sein Waschbecken bückte, schoss ihm etwas ins Kreuz, ein jäher Schmerz, der die Muskeln augenblicklich verhärtete. Wahrscheinlich Tribut an die Schlepperei von gestern. In leicht gekrümmter Haltung schleppte er sich zum Küchenschrank, wo er in einer übergroßen Tasse ohne Henkel Medikamente aufbewahrte. Er nahm drei Voltaren, wusste, dass er Magenweh bekommen würde, und fuhr zur Arbeit. Das Kreuz merkwürdig durchgedrückt hinterm Lenkrad.
Baier war schon da, Evi auch, die blendend aussah und ihm einen »wunderschönen guten Morgen«
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