Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
schon mal eine Mail ab. Gerhard und Baier holten sich Kaffee aus der Küche, und als sie retour kamen, saß Evi ganz verlegen vor dem PC .
»Was ist los?« Baier hatte den untrüglichen Blick.
»Äh, Tschechien lässt anfragen, ob jemand von uns dazukommen will.«
»Sie meinen, Tschechien lässt anfragen, ob Sie dazukommen wollen, Frau Straßgütl?«
»Nein, äh, nicht explizit, eben einer von uns … also …«
»Frau Straßgütl, Tschechien hat sich sicher auch schon Gedanken darüber gemacht, wie Sie dahin kommen.« Baier grinste.
»Ähm ja, es ginge morgen früh ein Flug von Innsbruck nach Wien. Man würde mich, also uns, also wer eben käme, in Wien dann abholen.«
»Würde man, soso! Frau Straßgütl. Ich kann kein Englisch, außerdem fliege ich äußerst ungern. Weinzirl ist unser Kaltenberg-Spezialist, der muss bei diesem Ritterquark wieder ran. Also können nur Sie fliegen. Das machen Sie auch. Völkerverständigung. EU -Verständigung. Ich fahr Sie nach Innsbruck. Wollt da schon lange mal wieder hin. Frühstück in Innsbruck. Nette Stadt. Schau mir dann immer das Riesenrundgemälde von Zeno Diemer an. Die Schlacht am Berg Isel, köstliches Werk. Entdecke dann immer was Neues. Kennen Sie das, Weinzirl?«
»Nein.« Aber er kannte ja auch keine Bilder vom Walchensee. Er war so was von einem Kulturbanausen.
Baier sah ihn tadelnd an. »Schadet nicht, ein bisschen über den Tellerrand zu sehen, Weinzirl!«
Und damit wurde Evi zum Kofferpacken entsendet und Gerhard nach Hause. Dort versuchte er, Kassandra zu erreichen, die mal wieder nicht da war. Sowohl am Festnetz als auch am Handy schallte nur ihre fröhliche Stimme von der Mailbox.
Nachdem er eine Tiefkühlpizza verzehrt hatte, die geschmacklich etwas von einem Pappkarton hatte, griff er erneut zum Telefon. Er wollte Jo anrufen und ihr sagen, dass er morgen nochmals käme, um im Fall Havelka zu recherchieren.
»Morgen ist natürlich kaum jemand da«, gab Jo zu bedenken. »Wenn du mehr Leute treffen willst, wäre morgen Abend ein Extra-Konzert von Corvus. Da werden sicher auch einige Mitwirkende kommen.«
»Ja, gute Idee.«
»Ja, gut, bis dann.«
Sie klang müde, und er spürte, dass sie eigentlich gar nicht auflegen wollte. Hatten sie sich so wenig zu sagen, dass sie hier so geschäftsmäßig Termine verabredeten?
»Du klingst nicht besonders gut«, sagte er schnell.
»Ach Gerhard. Ich will dir jetzt nicht die Ohren voll heulen.«
»Kannst du ruhig. Was ist los?«
»Ich bin am Abend so kaputt, dass ich heulen könnte. Aber selbst dafür fehlt mir die Energie. Und ich fühle mich so einsam.«
»Warum macht dir das gerade jetzt so zu schaffen?«, sagte Gerhard. Na, das war ja auch nicht besonders einfühlsam.
»Weil ich hier nicht hergehöre. Weil es das falsche Haus ist, die falsche Gegend. Eigentlich müsste ich mein cooles Leben doch lieben: Ich, die ich gegen das Establishment wettere und gegen das verlogene Familienidyll und gegen Reihenhäuser. Ja stimmt, aber ich hätte trotzdem gerne jemanden, mit dem ich eine Vision teilen könnte. Eine vom Leben. Gerhard, jeder braucht ein Zuhause.«
»Ja, aber du hast deine Tiere.« Gerhard wusste, dass das auch nicht überzeugend klang.
»Ja, Gott sei Dank, aber auch wenn du das glaubst: Ich bin nicht so verschroben, als dass ich auf Menschen verzichten wollte. Auf einen Mann.«
»Auf einen? Nur einen?«
»Einer würde reichen – durchaus.«
»Aber Mr. Right gibt es nicht. Mrs. Right übrigens auch nicht.« Gerhard lächelte ein verunglücktes Lachen. »Und anstatt auf Mr. und Mrs. Right zu warten, ist es besser, nicht allein zu sein. Sich jemanden ins Bett zu holen.«
»Besser? Ich weiß es nicht. Es ist eine Linderung. Oder auch nur eine Brücke, ein Übergang von der einen zur anderen Zustandsform.«
»Und so einem Ritter geht das genauso?« Die Frage war unsensibel. Jo hatte sich ihm so weit geöffnet, und er kam mit einem Ritter. Ausgerechnet. Was ging ihn Jos Sexualleben an? Aber er wollte Jo provozieren, er wollte, dass sie aufbegehrte. So in sich gekehrt, so sachlich machte sie ihm Angst.
»Ja, ich glaube. Nein, ich weiß es. Es ist wie bei Schauspielern oder Popstars. Bejubelt von Zehntausenden. Angestrahlt von Hunderten von Scheinwerfern. Noch ein bisschen Geplänkel backstage, Interviewtermine. Autogramme. Immer gleiche Fragen, immer Anbetung, Bewunderung. Und dann wieder irgendein Hotel, dessen Namen du dir nicht mehr merkst, in einer namenlosen Straße, in einer namenlosen
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