Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
Putzer.
»Ach, Sie waren auch da?«
»Ja, ich wollte den künstlerischen Prozess mal mitverfolgen. Sehr interessant.« Putzer machte eine affektierte Handbewegung.
Baier gab ein Schnauben von sich, das wie ein unterdrückter Niesanfall eines Rhinozerosses klang.
»Und wann genau sind Sie gegangen?«, fragte er.
»Gegen halb zwei, Lutz wollte das Shooting auch bald danach zu einem Abschluss bringen.«
»War sonst noch wer da?«, fragte Baier.
»Ähm, ja, ein paar Freunde waren immer mal wieder da.«
Gerhard grinste Baier an. »Und natürlich können Sie uns genau aufschreiben, wer das so war. Vielleicht sogar einen, der noch geblieben ist, nachdem Sie weggegangen sind. Das wäre insofern auch recht interessant, als Sie ein Alibi brauchen.«
»Ich? Meine Herren! Wieso denn ein Alibi?« Er schrie regelrecht.
»Weil es doch nicht direkt unwahrscheinlich ist, dass der Letzte nicht bloß das Licht ausgemacht hat, sondern Ihrem Stilisten Lepaysan Selbiges auch ausgeblasen hat. Also eine Liste, und wenn Sie was über die Damen wissen, bitte auch deren Namen«, sagte Gerhard.
Baier mischte sich ein. »Hat der Lepaysan auch ‘ne Adresse?«
»Ja, er hat ein Arbeitsatelier in Seeshaupt und ein Appartement in St. Heinrich.« Putzer nannte beide Adressen.
Baier schüttelte noch den Kopf, als sie die Treppe wieder hinuntergingen. Sein Blick streifte die Möbel. »Herrschaft Zeiten.«
Baier überließ Gerhard das Fahren, gab nur kurze und knappe Anweisungen, wo es langgehen sollte. Baier liebte seine Schleichwege, der heutige führte über Etting nach Eberfing und auf kurvigen Sträßchen hinein in den Wald. Gerhard war angespannt, so wie er das immer war, wenn ein neuer Fall noch voller Rätsel vor ihm lag. Konzentriert und angespannt. Kurz vor Seeshaupt bekam Baier die Zähne wieder auseinander.
»Schlossgaststätte Hohenberg, vergessen Sie’s am Wochenende, aber wochentags ohne depperte Münchner ein nettes Platzl.«
So sah das Anwesen auch aus, nur hatte der verregnete Sommer Biergärten bisher wahrlich nicht verwöhnt. Baiers Routenwahl führte sie gleich am Ortseingang in die Untere Flurstraße zu einem modernen Haus.
Die Eingangstür stand offen, sie stiegen ins Obergeschoss hinauf. Die Tür zum Atelier von Lepaysan war offensichtlich aufgebrochen worden. Der Raum hatte was von einer gläsernen Kathedrale. Im rechten Seitenschiff war eine Liegelümmellandschaft mit Polstern in Tigerfelloptik aufgebaut, davor standen Kameras und Strahler. Im Hauptschiff gab es eine offene Küche, mit Konferenztisch und drei Leuchttischen, im linken Seitenschiff reihten sich Metallschränke an den Wänden und Schreibtische mit Computern. Dort, wo eine Sakristei hingehörte, befanden sich zwei offene Türen. Sie führten in ein Bad, einen Raum mit einem ungemachten Bett und einer Dunkelkammer.
»Herrschaft Zeiten«, kam es von Baier und »Himmel no amoal« von Gerhard. Gerhard hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie es bei einem Gesellschaftsfotografen aussah – Künstler galten ja gerne mal als etwas chaotisch –, aber ein solches Katastrophengebiet hatte er schon lange nicht mehr gesehen. An den Wänden standen große metallische Dia-Schränke, deren Schubladen alle herausgerissen waren, und die Dias waren über den gesamten Boden verteilt. Rund um die Leuchttische ringelten sich Negativstreifen und türmten sich Diaberge.
»Da war schon einer hier«, sagte Baier lakonisch und arbeitete sich mit zierlichen Schuhspitzenkicks, um auf kein Dia zu treten, durch den Raum. Ein Rhinozeros beim Spitzentanz. Er war in der Dunkelkammer angelangt und nur gedämpft zu hören.
»Hier hängen Schwarz-Weiß-Abzüge von Vorspeisen, Salaten, Krabbencocktails. Die hat niemand angerührt.« Baier trippelte retour.
»Hier hat jemand was gesucht. Das ist klar«, sagte Gerhard und betrachtete kopfschüttelnd das Chaos.
»Herrschaft Zeiten, Weinzirl. Das ist, ist, ist …«
»… die Nadel im Heuhaufen, der Tropfen im weiten Meer«, kam es von der Tür. Die beiden Männer fuhren herum. Da stand Evi. Caprihose in Apfelgrün, geringeltes Top in ebenfalls apfeligen Farben, Flip-Flops, neckisches kleines Pferdeschwänzchen, braun gebrannt, das blühende Leben.
Die beiden Männer starrten sie an. Zwei Rhinozerosse, die erstmals einer Elfe, oder zwei dumme Affen, die erstmals Janes ansichtig wurden.
»Du wolltest mich am Flughafen abholen«, sagte Evi in Gerhards Richtung und schickte ein »Grüß Gott, Herr Baier«
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