Eisenkinder
wenig gleich und verlässlich geblieben war, wirkte diese Beständigkeit beruhigend.
Im Treppenhaus lag ein Teppich, an der Tür hing ein Messingschild mit dem Namen der Frau. Katharina war groß und schlank, die schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Obwohl sie nur Jeans, T-Shirt und sehr wenig Make-Up trug, sah sie perfekt gestylt aus. Nichts saß schief. Kein Haar lag an der falschen Stelle.
Ihre Anmut wirkte noch stärker, wenn man mich neben ihr sah.
Ich war leicht übergewichtig, trug Reno-Schuhe, Billig-Jeans und ein weites Sweatshirt mit der Aufschrift »Steffi-Moden«. Meine Haare klebten am Gesicht, ich schwitzte von den Treppen und der schweren Tasche.
Ich sah mich um. Die Wohnung war riesig, allein schon der Flur schien nicht zu enden, überall entdeckte ich Türen. Hier hätte eine Großfamilie wohnen können. Kaum zu glauben, dass eine 28-jährige alleinstehende Frau so viel Platz brauchte. Weiße Flügeltüren öffneten sich zu einem mit Stuck dekorierten, spärlich eingerichteten Wohnzimmer.
Auf dem Parkett stand ein schneeweißes langes Sofa. Sonst sah ich kaum Möbel, auch wenige persönliche Gegenstände. Selbst die Tasse auf dem Couchtisch schien unbenutzt zu sein und nur aus dekorativen Gründen dort zu stehen.
Ich traute mich nicht, mich zu regen. Ich wollte nichts schmutzig machen. Ich stand nur da und bestaunte alles mit großen Augen. Es war für mich, als würde der Westen in dieser Hamburger Altbauwohnung noch einmal seine Überlegenheit zur Schau stellen. Vor dem Fenster rankten Rosen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich jemand, der nur wenige Jahre älter war als ich, eine solche Wohnung leisten konnte. Ich wollte wissen, wo Katharina arbeitete. Die Antwort verblüffte mich. Sie sagte, sie sei arbeitslos. »Im Moment«, fügte sie hinzu. Deshalb sei sie gezwungen, ein Zimmer unterzuvermieten.
Katharina schien nicht darunter zu leiden, keine Arbeit zu haben. Es hatte offenbar auch keine Auswirkungen auf ihren Lebensstandard. Sie hatte diese große Wohnung, im Bad lagen teure Lippenstifte.
Ich dachte an meinen Vater, der sieben Monate lang zu Hause gesessen hatte. Der Unterschied war, dass sich Katharinas Kombinat nicht aufgelöst, sondern dass sie selbst entschieden hatte, zu Hause zu bleiben. Sie wollte sehen, was sich ergab. Ich musterte sie neugierig.
Sie schien genau zu wissen, was sie wollte. Und sie schien sich sicher zu sein, dass sie das auch bekommen würde. Ich wäre gern so gewesen wie sie. Ich hatte noch nicht mal meine Tasche ausgepackt, und fing bereits an, meine neue Mitbewohnerin zu bewundern.
Sie übereichte mir ein Stück Papier, das in Zellophan eingeschweißt war. Hausordnung, stand darauf. Darunter hatte sie Verhaltensregeln aufgelistet, über eine stolperte ich besonders: Männliche Gäste waren nicht gestattet.
Solch ein Verbot schien so altmodisch, das passte gar nicht zu der modernen, coolen Frau, die neben mir stand. Sie sagte, dass sie in der Vergangenheit oft schlechte Erfahrungen mit Untermieterinnen gemacht hätte.
Ich fragte nicht nach, sondern händigte ihr die Miete aus.
Am ersten Abend machte sie Salat zum Essen. Sie nahm dazu einen besonderen Essig, der sämig und fast schwarz war. Sie legte mit hölzernem Salatbesteck sorgfältig ein paar Blätter auf meinen Teller, ich probierte die dunkle Soße, sie schmeckte süßlich, mit einer feinen Säure. Der Essig schmeckte viel aromatischer als der, den ich von zu Hause kannte. Das sei Balsamico, belehrte mich Katharina. Aus Italien. Ich dachte, vielleicht hatte die Wende doch ihre guten Seiten: Balsamico, Mozzarella, Cappuccino.
Ich aß meinen Teller schnell leer, ich hatte im Zug nichts gesessen und war hungrig, ich wartete auf einen Nachschlag. Aber Katharina stellte die Salatschüssel schon in den Kühlschrank. Für morgen. Sie sagte das mit Nachdruck in der Stimme, die keinen Widerspruch zuließ.
Danach verschwand sie in ihrem Wohnzimmer, und ich hatte das Gefühl, dass sie allein sein wollte. Sie brauchte das gar nicht zu sagen, sie hatte so eine Art, die mich auf Abstand hielt.
In meinem Zimmer stand eine Schale mit Schoko-Hasen, es war nach Ostern. Ich schaute die Schoko-Hasen an, ihr Anblick machte mich ein wenig traurig. Ich fühlte mich einsam. An dem Abend rief ich meine Mutter an, nur kurz, weil Ferngespräche zu teuer waren. Ich hörte ihr zu, sie lobte den jungen Nachbarn, wie gut er den Garten pflege, und ihre Stimme klang sehr weit weg.
Ich
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