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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Rennefanz
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war.
    Er kannte dieselben Kampflieder, die ich auch kannte, die »Moorsoldaten«, »Bella Ciao«, das Partisanenlied. Ich vergaß den Fünf-Punkte-Plan der Evangelisation. Mir fiel auf, dass er sehr schöne braune Augen hatte.

Das Tribunal
    Wladimir stand vor mir und bot mir an, über unsere Differenzen zu reden. Er hatte die Statur eines Rugby-Spielers und den Blick eines neugierigen Kindes. Er lächelte. Es gab keinen Hinweis darauf, dass er Hintergedanken hegte, als er mich zum Kaffee einlud. Und doch zögerte ich.
    Er war ein Ungläubiger, einer, dem ich zwar Bibeln verkaufen, aber nicht zu nahe kommen sollte. Als bibeltreue Christin durfte man mit ungläubigen Frauen befreundet sein, man sollte sie sogar gezielt ansprechen, um den Auftrag des Herrn zu erfüllen, aber Männer waren tabu.
    Männer waren zu gefährlich.
    Es gibt einen Vers aus dem Korinther-Brief, in dem es etwas kryptisch heißt, dass man nicht am selben »Joch« wie ein Ungläubiger ziehen solle. Mit dem »Joch« war angeblich die Ehe gemeint.
    Dass man einen Mann einfach so treffen könnte, ohne ihn gleich heiraten zu wollen, lag jenseits der Vorstellung vieler bibeltreuer Christen. Es ging immer gleich ums Heiraten.
    Meine ehemalige Mitbewohnerin Katharina warnte davor, sich mit ungläubigen Männern anzufreunden. Es würde mich zerreißen, sagte sie. Ich ahnte damals noch nicht, dass Katharina keine gute Beziehungsratgeberin war. Sie hatte einen Mann geheiratet, den sie kaum kannte und von dem sie sich nach einem Jahr wieder trennen würde.
    Mir predigte sie damals, dass die christliche Frau verpflichtet sei, sich den Wünschen des Mannes unterzuordnen, auch wenn diese Wünsche dem Bibelverständnis widersprachen. Statt sonntags in die Kirche zu gehen, müsste ich zu Hause mit ihm frühstücken. Ich solle auch an die späteren Kinder denken, fügte Katharina hinzu. Er könnte verhindern, dass sie getauft und christlich erzogen würden.
    Ich war 21, wenn jemand mit mir über Kinder reden wollte, wäre ich am liebsten weggerannt. Mir widerstrebte dieses konservative Männer- und Frauenbild, es passte nicht zu dem, wie ich aufgewachsen war, und trotzdem widersprach ich nicht. Ich fügte mich ein, weil es mir konsequent erschien.
    Ich hatte mich für diesen Gott und seine Regeln entschieden, nun musste ich auch mit ihm leben.
    Ich redete mir ein, dass diese Vorschriften besser zum Wesen des Menschen passten als die grenzenlose Freiheit, die seit der Wende herrschte.
    Im September 1994 hatte ich in meinem Tagebuch mit mir gerungen, welches die beste Ordnung ist: eine liberale Gesellschaft, die Selbstbestimmung ermöglicht, oder eine Gesellschaft, die Werte und Richtungen vorgibt? Ein Jahr später glaubte ich, die so genannte liberale Gesellschaft des Westens durchschaut zu haben. Die Freiheit, um die es ging, war vor allem die Freiheit des Geldes. Der Mensch war ein Getriebener, musste sich dauernd selbstoptimieren, Eigeninitiative zeigen, um zu überleben. Der Westen verstärkte die schlechtesten Eigenschaften des Menschen: Gier, Egoismus, Rücksichtslosigkeit.
    Mit wahrer Selbstbestimmung hatte das alles nichts zu tun.
    Weil mir das westliche System zu unfrei erschien, ordnete ich mich einem noch unfreieren System unter. Es war nicht immer logisch, was damals passierte.
    Ich stand am Büchertisch, schaute zu dem Mann herüber, der aus meiner Vergangenheit kam. Wladimir sagte, er würde auf mich warten, bis ich die Bücher zusammengepackt habe. Er hatte wirklich tolle Augen.
    Was war schon dabei, zusammen in die Mensa zu gehen?
    Ein Kaffee zu zweit war noch keine Beziehung. Ich würde keinerlei Verpflichtung eingehen. Mich interessierte, wie ein Gleichaltriger, der im Westen groß geworden war, sechs, sieben Jahre nach der Wende vom Kommunismus träumen konnte, gemeinsam mit Kuba und Nordkorea.
    Andererseits hatte ich Angst, dass Wladimir meine Zustimmung falsch verstehen könnte. Als Zustimmung zu seinen Argumenten und als Interesse an ihm als Mann. Ich war hin- und hergerissen. Ich musste mich entscheiden, und es schien, als hing von dieser Entscheidung ab, wie mein weiteres Leben verlaufen würde.
    Die harmlose Frage nach einem Kaffee wurde zu etwas viel Größerem: Wie ernst würde ich die Regeln dieser neuen Welt nehmen? Würde ich meine Prinzipien einhalten oder schon bei der ersten Versuchung einknicken? Klar, die biblischen Regeln waren hart. Aber sie gaben auch Halt.
    Widersprüchliche Gefühle kämpften in mir, Angst gegen Neugier,

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