Eisenkinder
die Männer, die Supermodels geheiratet hatten und dann mit einem Elefanten im Bett endeten?
Die Frauen, egal ob Single oder verheiratet, brauchten ganz klar Jesus, um sie von ihrer Fixierung auf äußere Schönheit zu erlösen, von ihrer Ersatzdroge. Leider schienen sie sich ihrer Erlösungsbedürftigkeit nicht bewusst zu sein. Sie marschierten über das Kopfsteinpflaster und standen perfekt geschminkt stundenlang beim Bäcker nach Brot an. Wenn schon russischer Untergang, dann bitte auf High Heels.
Es gab keine Supermärkte, sondern nur Geschäfte, in denen ein kompliziertes Zahlungssystem herrschte. Man ging zu einem Tresen, merkte sich den Preis des Artikels, stellte sich an der Kasse an. Dort wartete man, bis man dran war, dann nannte man den Preis, bezahlte und bekam eine Quittung. Anschließend stellte man sich wieder an, um die Waren abzuholen.
Bis ich das System durchschaut hatte, verging eine Woche.
Ich konnte mich nur mit großer Mühe auf Russisch verständigen, weil ich in den acht Jahren Sprachunterricht zwar gelernt habe, marxistisch-leninistische Phrasen zu wiederholen, nicht aber, wie man ein Brot kauft.
Ich hatte vor allem Schwierigkeiten, mir Zahlen zu merken. Ich verwechselte fünfzehn, pjatnadzad, mit fünfzig, pjatdesjat, und bekam an der Kasse vor Aufregung kein Wort heraus. Ich zeigte auf ein Brot, das ich ausgewählt hatte, aber die Kassiererin schüttelte den Kopf. Ich musste zum Tresen zurück. Wenn man lange Schlangen vor den Brot-Geschäften sah, dann war Lieferung eingetroffen, dann musste man hinrennen und sich die Taschen vollstopfen. Manchmal gab es tagelang kein Brot in der Stadt.
Wenn wir nicht nach Brot anstanden, arbeiteten wir diszipliniert unsere Aufgaben ab. Wir klingelten an vielen Häusern. Meistens wurde uns die Tür vor der Nase zugeschlagen, sobald Larissa die Bibel herausholte. Die Russen wollten keinen Heiland. Sie hatten ihren Wodka.
Nur ein einziges Mal kam ich meiner Aufgabe, eine Seele zu retten, nahe.
Auf dem Spielplatz vor der Haustür trafen wir Irina. Sie war zu alt für den Spielplatz, sie war 15, und sah aus wie 22. Larissa und ich setzten uns zu ihr und stellten uns vor. Als sie mich fragte, ob ich auch Amerikanerin sei, sagte ich, nein, nemjetzkyi, Deutsche. Ich erzählte noch ein bisschen mehr, aber Irina lachte mit jedem Wort, das ich sagte. Sie lachte so laut, dass sie sich die Hand vor den Mund halten musste.
Angeblich sprach ich mit französischem Akzent. Mein Selbstbewusstsein brach sofort ein, gekränkt.
Nachdem ich darüber nachgedacht hatte, wie lächerlich es war, sich von einer 15-Jährigen, die wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben eine Ausländerin reden gehört hatte, einschüchtern zu lassen, freundete ich mich mit Irina an – soweit es zwischen einer Missionarin und ihrem Opfer Freundschaft geben kann. Denn das Ziel ist ja immer gleich: Das Opfer soll sich von seinem alten Leben verabschieden, seine Sünden bekennen und Jesus als Retter annehmen.
Ich begann ganz sanft, Jesus liebt dich, er liebt jeden Einzelnen, als sie nur gelangweilt guckte und ihre Haarspitzen um ihre Finger wickelte, so dass nicht klar war, ob sie nachdachte, träumte oder an gar nichts dachte, also da legte ich ein wenig Dynamit in das Gespräch: Wer sich nicht für Jesus entscheidet, lebt in ewiger Verdammnis. Also gehe ich in die Hölle?, fragte Irina erschrocken.
Larissa fand nachher, ich sei zu ungeduldig. Aber immerhin hatte uns Irina zu sich nach Hause eingeladen. Ich fand das ermutigend. Ein wenig Druck schadete nicht. Jesus war doch auch eher der radikale Typ, er hatte in den Tempeln die Geldtische umgeworfen und nicht freundlich darum gebeten, mit dem Glücksspiel aufzuhören.
Ich hatte das Gefühl, nah an meinem Ziel zu sein, endlich jemanden zu bekehren.
Ich war vor drei oder vier Wochen angekommen, aber es fühlte sich an, als sei ich schon seit dem Ende der achtziger Jahre in der Stadt. Die Abende in Petrosawodsk waren am schlimmsten. Sie zogen sich hin, jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, eine halbe Stunde müsste vergangen sein, hatte sich der Zeiger kaum eine Minute vorbewegt. Ab sieben durften wir ohne Erlaubnis der drei Finnen das Haus nicht mehr verlassen.
Es gab keinerlei Ablenkung: kein Buch, kein Fernseher, kein Alkohol. Ich kopierte das gesamte Johannes-Evangelium in mein Tagebuch.
Larissa beschwerte sich nie, jeden Tag pries sie den Herrn und war voller Erwartung auf die Ereignisse, die passieren könnten, und abends, wenn die
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