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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Rennefanz
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Aufrichtigkeit und hatte das Gefühl, alles, was ich in Russland machte, beruhte auf einer Lüge. Ich hatte mich aus einer Laune heraus für diesen Einsatz angemeldet. Jetzt sollte ich den Russen von Jesus erzählen, ich sollte sie unterwerfen, aber ich hörte ihnen lieber zu. War ich womöglich nicht zur Missionarin geeignet?
    In den nächsten Tagen wurde ich ein wenig abgelenkt, Finne 1 sagte, wir fahren weg. Er sagte nicht wohin. Jetzt würde unser Einsatz richtig beginnen. Alles andere war nur Vorbereitung gewesen. Wir setzten uns in den weißen VW Bus, murmelten ein gemeinsames Gebet und fuhren los.
    Ich hatte keine Ahnung, in welche Himmelsrichtung es gehen sollte, ob es ein Ziel gab oder ob wir nur zufällige Runden drehten. Larissa plauderte mit den Finnen.
    Ich schaute aus dem Fenster und langweilte mich. Bäume, links und rechts. Zwischendrin mal ein Birkenwäldchen. Die Waldstraße schien nicht zu enden. Man konnte sich vielleicht vorstellen, dass hier die Hexe Baba Yaga aus den russischen Märchen lebt, auf einem Haus mit Hühnerfüßen. Manchmal passierten wir kleinere Seen, eine Siedlung, in der die Mücken das Lebendigste zu sein schienen.
    Nach vier oder fünf Stunden kamen wir in einem Walddorf an. Niemand war auf der Straße, die mehr ein Sandweg war, der plötzlich endete. Um einen Brunnen standen Holzhütten. Larissa übersetzte, dass die Menschen hier noch nie Ausländer gesehen haben.
    Ich machte mir Sorgen, wie die Einheimischen uns empfangen würden. Machten sie uns mit Wodka betrunken, würden Larissa und ich dem Häuptling als Nebenfrauen geschenkt?
    Statt eines Häuptlings kamen ein paar alte Frauen aus den Hütten, sie riefen chleb? Brot?
    Sie hatten den weißen Wagen gesehen und hofften, dass die überfällige Brotlieferung endlich kommen würde. Seit dem Zusammenbruch der Kolchosen mussten sich die Menschen selbst versorgen. Sie lebten vom Fisch aus den Seen, von den Tieren im Wald. Einmal die Woche kam ein Brot-Auto. Wenn es denn kam.
    In dieses abgelegene Dorf war seit zwei Wochen kein Brot-Auto mehr gekommen. Telefone gab es nicht, Handys kosteten ein Vermögen.
    Jesus hatte mit fünf Broten fünftausend Mann ernährt, wir hatten nicht mal fünf Brote dabei, sondern nur Traktate und Bibeln. Finne 2 oder 3 ging auf sie zu, sagte etwas auf finnisch – und die Frauen verstanden ihn. Sie zeigten ihr zahnloses Gebiss und lächelten. Die Männer zeigten auf uns. Larissa und ich standen unbeweglich neben dem Auto. Ein Finne holte aus dem Auto einen Stapel Bibeln und eine Gitarre. Eine Gitarre? Ich sah die Gitarre auf mich zukommen und ließ sie beinahe fallen.
    Ich hatte ein paar Gitarren-Griffe gelernt, als ich zwölf war, und das offenbar in einem Fragebogen der Missionsgesellschaft angegeben, um bessere Chancen bei der Auswahl zu haben. Ich hätte nie damit gerechnet, dass jemand darauf zurückkommt.
    In Hamburg hatte ich davon geträumt, etwas Großes zu erreichen. Seelen zu retten. Jetzt stand ich am Ende der Welt und sollte Gitarre spielen. War alles ein Missverständnis?
    Ich war selbstkritisch genug, um zu wissen, dass mein Gitarrenspiel vielleicht Steine zum Erweichen bringt, aber niemanden bekehrt. Aber gut, irgendwo musste man anfangen.
    Die alte Frau, die der Finne begrüßt hatte, brachte mich in eine etwas größere Hütte. Ich ging hinein, und als ich die Tür aufmachte, trat ich einen Schritt zurück. Der Raum war vollgestopft mit kleinen Mädchen und Jungs, sie trugen ihre Sonntagskleider, die Mädchen hatten riesige Schleifen im Haar. Die Kinder verhielten sich still. Der Finne flüsterte Larissa etwas in ihr Ohr, Larissa übersetzte, ich solle spielen. Der Finne verschwand. Ich stand mit der Gitarre vor den Kindern und hätte nichts dagegen gehabt, wenn man mir jetzt sofort, hier an dieser Stelle, eine Giftspritze gesetzt hätte. Kein Wort brachte ich heraus. Larissa stieß mich an. Ich nahm die Gitarre und spielte los.
    Larissa und ich sangen ein paar Lieder, ich verwechselte ein paar Griffe, aber es war nicht schlimm. Dann stellte ich die Gitarre beiseite. Ich nannte meinen Namen und erklärte, dass ich aus Deutschland gekommen sei, um ihnen vom Jesuskind zu erzählen. Ich ging zur Tafel und begann, Strichmännchen zu zeichnen. Ich schaltete auf Eroberungs-Modus.
    Jesus kam in die Welt, um uns zu retten.
    Wie brav sie dasaßen. So ruhig. Unheimlich. Hinten thronte eine Lehrerin, vor der hatten sie offenbar Angst.
    Dann kam der Moment des Galgenmännchens. Die Kinder

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