Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
geschlagen.
»Der arme Mann«, sagte sie schließlich.
»Ezra hat ein elendes Leben gehabt«, sagte Erlendur.
»Er hat sein ganzes Leben mit dieser Ungewissheit leben müssen.«
»Ja.«
»Wer bringt denn so etwas über sich, was für ein Mensch bringt so etwas fertig?«, fragte sie und stand erregt auf. »Was für ein niederträchtiger Mensch war dieser Jakob!«
»Du hast selber gesagt, dass sein Ruf nicht allzu gut war.«
»Ja, aber so etwas! Wer bringt so etwas fertig?«
»Er hat seine Strafe erhalten«, sagte Erlendur.
»Aber nicht die, die er verdient hatte«, stieß Hrund hervor.
»Vielleicht hat er noch Zeit genug dazu gehabt, um über die Qualen nachzudenken, die er anderen zugefügt hat«, sagte Erlendur.
Hrund blickte ihn an.
»Was meinst du damit?«
»Das wäre eine verdiente Strafe gewesen«, sagte Erlendur.
Dreiundfünfzig
Am Ende dieses langen Tages hielt Erlendur bei einem kleinen, wellblechverkleideten Holzhaus in Seyðisfjörður. Nach dem Besuch bei Hrund war er direkt losgefahren, ein weiteres Mal durchs Fagridalur nach Egilsstaðir, wo er getankt und Zigaretten gekauft und die Thermoskanne aufgefüllt hatte. Ein Besuch stand noch aus, und den wollte er noch an diesem Tag hinter sich bringen. Die Adresse hatte er im Telefonbuch gefunden, Daníel Kristmundsson hieß der Mann, den er besuchen wollte. Den Namen hatte der Bauer und Fuchsjäger Lúðvík erwähnt, weil dieser Daníel in früheren Zeiten Jäger aus Reykjavík in die Berge geführt hatte. Ein ausgefuchster alter Kerl, hatte Lúðvík gesagt.
Aus einem Fenster des Hauses drang ein schwacher Lichtschimmer. Das Haus lag etwas außerhalb des Ortes, dort gab es keine Straßenbeleuchtung mehr. Erlendur tastete im Dunkeln nach einer Klingel, fand aber nichts dergleichen und klopfte an. Nichts geschah. Er versuchte es ein weiteres Mal mit Klopfen, und nach geraumer Zeit hörte er ein Geräusch von drinnen. Er wartete geduldig, bis sich die Tür öffnete und ein unrasierter Mann mit wirrem Haar erschien, der ihn anblinzelte. Er war um die fünfzig.
»Was willst du denn?«, fragte er.
Dieser Mann konnte wohl kaum als ausgefuchster alter Kerl bezeichnet werden, deswegen nahm Erlendur an, dass es sich nicht um Daníel handelte. Er fragte nach Daníel Kristmundsson und sagte, er sei davon ausgegangen, dass er in diesem Haus lebe.
»Ach, der Daníel«, sagte der Mann. »Tja, der ist tot.«
»Tatsächlich?«, sagte Erlendur. »Schon lange?«
»Nein«, sagte der Mann. »Es ist vor einem halben Jahr gestorben.«
»Na, dann war’s das auch schon«, sagte Erlendur. »Im Telefonbuch steht er aber immer noch unter dieser Adresse.«
»Ja. Ich sollte vielleicht mal bei denen anrufen.«
Der Mann musterte Erlendur von Kopf bis Fuß. Neugierde flackerte in seinen Augen auf.
»Warum wolltest du zu ihm, wolltest du ihm etwas verkaufen?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Erlendur. »Ich verkaufe nichts. Entschuldige bitte die Störung.«
Erlendur verabschiedete sich und war im Begriff, wieder zu seinem Wagen zu gehen, als der Mann zur Tür heraustrat.
»Was wolltest du denn von Daníel?«, fragte er.
»Spielt keine Rolle mehr«, sagte Erlendur. »Ich bin zu spät.«
»Bist du aus einem speziellen Grund gekommen?«, fragte der Mann.
»Hast du Daníel gekannt?«
»So einigermaßen«, sagte der Mann. »Er war mein Vater.«
Erlendur grinste. »Ich wollte mit ihm über seine alten Zeiten als Fuchsjäger sprechen«, sagte er. »Über Fuchsbaue zum Beispiel und über das Verhalten dieser Tiere. Mehr war es gar nicht. Mir hatte irgendjemand gesagt, dass dein Vater sich da hervorragend auskannte.«
»Sammelst du Informationen über so etwas?«
»Ja, nur für mich selber.«
»Und was möchtest du wissen?«
Das schwache Licht aus dem Haus drang bis in die Dunkelheit hinaus, in der sie standen. Erlendur war etwas verlegen, weil sich herausgestellt hatte, dass der Mann, zu dem er wollte, gestorben war. Der Sohn hingegen, den er aus einem sanften Schlummer geweckt hatte, wurde aber anscheinend immer munterer und entsprechend neugieriger auf den überraschenden Gast.
»Nichts Besonderes«, sagte Erlendur. »Vielleicht etwas darüber, ob er jemals in den Bergen südlich von Seyðisfjörður irgendetwas Ungewöhnliches gefunden hat, oberhalb von Reyðarfjörður und Eskifjörður, beim Harðskafi beispielsweise. Aber darüber weißt du wohl nichts?«
»Arbeitest du da am Staudamm?«, fragte der Mann.
»Nein«, sagte Erlendur.
»Oder vielleicht
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