Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
ist doch an dieser Geschichte von ihrem Gang über die Irrlichtscharte etwas, was in der Erinnerung der Leute weiterleben sollte. Falls nicht ohnehin schon alle tot sind, die sich an sie erinnern.«
»Ich gehe nicht davon aus, dass in all diesen Jahren irgendjemand nach Jakob gefragt hat?«
»Nein«, sagte Ezra. »Du bist der Erste und Einzige.«
»Er hat dir nicht gesagt, was er mit Matthildur gemacht hat?«
»Nein, das hat er nicht getan.«
»Und du hast nicht die geringste Idee?«
»Nicht die geringste.«
»Hättest du ihm nicht das Leben retten können, damit er es dir vielleicht später hätte sagen können?«
»Nein, das hätte nichts geändert«, erklärte Ezra. »Davon bin ich überzeugt. Auch wenn ich ihm zu Hilfe gekommen wäre, er hätte mir nie verraten, was er mit Matthildur gemacht hat.«
»Jakob schien es bereits besser zu gehen, als du ihn in den Sarg befördert hast«, sagte Erlendur behutsam.
»In den Augen aller anderen war er tot«, entgegnete Ezra. »Ich habe ihn nur in den Sarg gelegt.«
Es war, als hätte sich der alte Mann diese Rechtfertigung selbst immer und immer wieder vorgesagt. Er stand auf, schaute zum Fenster hinauf in die Berge, sie waren klar und ohne Falsch.
»Ich denke manchmal darüber nach«, sagte er, »ob … Ich wollte nicht, dass er noch lebte, aber wenn … Falls Jakob Reue gezeigt hätte, irgendein winziges Zeichen von Reue oder von Bedauern, ob es dann nicht vielleicht anders ausgegangen wäre. Ob ich ihm dann nicht das Leben gerettet hätte.«
Erlendur wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
»Damit habe ich seither gelebt«, flüsterte Ezra nach einigem Schweigen am Fenster. »Mit dieser Schande, die sich in den schlimmsten Momenten bis ins Unerträgliche steigerte.«
Zweiundfünfzig
Hrund war aus dem Krankenhaus zurück. Erlendur fuhr gegen Abend zu ihrem Haus und sah sie wie früher am Fenster sitzen. Sie lächelte ihm zu, kam zur Tür und hieß ihn willkommen. Erlendur setzte sich mit ihr ins Wohnzimmer und fragte, wie es ihr ginge. Sie sagte, sie sei am Vormittag entlassen worden und könne sich nicht beklagen.
»Hast du etwas Neues herausgefunden?«, fragte sie, nachdem sie einen frisch gekochten Kaffee für ihn geholt hatte.
Erlendur wusste nicht so recht, wie viel er ihr über Matthildurs und Jakobs Schicksal und Ezras Rache nach dem Schiffbruch im Jahre 1949 erzählen konnte. Über seine Ausgrabung auf dem Friedhof von Djúpivogur wollte er jedenfalls möglichst Schweigen bewahren, und wenn er ohnehin schon etwas verschwieg, konnte er auch anderes für sich behalten. Deswegen war er vorsichtig und begann, Hrund von seinen Besuchen bei Ezra zu erzählen. Hrund lauschte seinem Bericht stumm, bis es zu dem Punkt kam, der für sie die meiste Bedeutung hatte.
»Ich hoffe, dass das alles unter uns bleibt«, sagte Erlendur. »Dass niemand anderes davon erfährt.«
»Selbstverständlich«, erklärte Hrund.
»Ezra ist davon überzeugt, dass Jakob Matthildur getötet hat.«
Hrund sah Erlendur mit ausdrucksloser Miene an.
»Ezra hat keine Beweise«, fuhr Erlendur fort. »Er hat mir gesagt, dass Jakob ihm gegenüber zugegeben hat, Matthildur umgebracht zu haben. Als Grund dafür hat er Eifersucht und Rachedurst angegeben. Manche würden so etwas als Verbrechen aus Leidenschaft bezeichnen. Ezra und Matthildur hatten eine Beziehung, und sie wollte Jakob verlassen. Der schöpfte Verdacht und folgte Matthildur zu Ezras Haus. Er hat die beiden zusammen gesehen und das nicht ertragen. Er hat es nicht ertragen, hintergangen zu werden.«
Immer noch sah Hrund ihn mit ausdrucksloser Miene an.
»Jakob hat dann das Märchen in die Welt gesetzt, dass Matthildur zu ihrer Mutter nach Reyðarfjörður wollte und bei dem Unwetter ums Leben kam. Sie hat sich nie auch nur auf den Weg gemacht.«
»Allmächtiger«, sagte Hrund schließlich.
»Ich sehe keinen Grund, Ezras Darstellung zu bezweifeln«, sagte Erlendur.
»Das elende Schwein«, flüsterte Hrund.
Erlendur erzählte ihr, wie er Ezra nach und nach dazu hatte bewegen können, ihm alles zu erzählen, über seine Liebe zu Matthildur zu sprechen und darüber, dass mit Matthildurs Verschwinden die Zeit in Ezras Leben zum Stillstand gekommen war. Er berichtete Hrund über die beiden Treffen von Ezra und Jakob nach Matthildurs Verschwinden, erst auf dem Friedhof und dann bei Jakob zu Hause, wo er zugegeben hatte, Matthildur getötet zu haben.
»Wie … Wie hast du ihn dazu gebracht, dir das alles zu
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