Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
die unberührte isländische Bergwelt in Besitz zu nehmen und völlig umzukrempeln.
Drei
Bóas blieb mitten in einem Geröllhang stehen und bedeutete Erlendur, das ebenfalls zu tun. Er ging wie der Fuchsjäger in die Hocke und starrte in den Nebel.
Es verging eine ganze Weile, ohne dass sich etwas rührte, doch dann sah er auf einmal den Fuchs in fünfzehn Meter Entfernung. Er starrte die beiden Männer mit aufgestellten Ohren an. Bóas griff so vorsichtig nach seiner Flinte, dass es kaum wahrzunehmen war, doch schon das war zu viel für den Fuchs, er schoss davon und war im nächsten Augenblick im Nebel verschwunden.
»Armes Biest«, sagte der Fuchsjäger. Er erhob sich, schulterte die Flinte und marschierte weiter.
»Ist das der Übeltäter?«, fragte Erlendur.
»Ja, das ist er. Ich kenne die Fuchsbaue hier in der Gegend wie meine Westentasche, und ich glaube, wir sind ganz nahe dran. So ein Bau wird von einer Generation nach der anderen benutzt, und einige sind schon ziemlich alt, ja, ziemlich alt, das kann ich dir sagen, auch wenn sie vielleicht nicht direkt aus der Eiszeit stammen.«
Sie gingen weiter, eingehüllt vom Schweigen der Natur, bis sie zu einem kleinen, aus Steinen aufgeschichteten und mit Moos getarnten Unterschlupf kamen. Bóas sagte, Erlendur solle sich hier ein bisschen ausruhen. Der Wind stehe günstig, er wolle noch ein Stück weiter, um die Lage zu erkunden. Erlendur setzte sich ins Moos und wartete geduldig auf die Rückkehr des Jägers. Er versuchte, sich zu erinnern, was er über den isländischen Fuchs wusste. Er galt als erster Landnehmer und war am Ende der Eiszeit vor zehntausend Jahren auf die Insel gekommen. Erlendur hatte das Gefühl, dass Bóas dem Tier viel Respekt entgegenbrachte, er schien Mitleid mit ihm zu haben und sprach über ihn wie über einen alten Freund. Trotzdem ging er zum Angriff über, wenn es die Notwendigkeit erforderte, und tötete den Fuchs und seine Nachkommen, als sei es eine Tätigkeit wie jede andere.
»Das arme Biest ist da, wir müssen nur ein wenig Geduld haben«, sagte er, nachdem er zurückgekommen war und sich neben Erlendur gesetzt hatte. Er nahm Gewehr und Munition von der Schulter, legte den Lederbeutel neben sich und holte einen Flachmann heraus, den er Erlendur reichte. Der trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Bóas brannte offensichtlich schwarz, allerdings weder mit besonders viel Ehrgeiz noch mit Geduld.
»Was ist eigentlich dabei, wenn Höfe verlassen werden?«, fragte Bóas und nahm den Flachmann wieder entgegen. »Das Land war verlassen, bevor wir Menschen hierherkamen, warum sollte es nicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren dürfen, wenn die Menschen verschwinden? Wieso muss das Land an irgendwelche Spekulanten verschachert werden, nur um eine ganz natürliche Entwicklung aufzuhalten? Kannst du mir das sagen? Menschen kommen und gehen. Gibt es etwas Natürlicheres?«
Erlendur schüttelte den Kopf.
»Sieh dir den armen Hvalfjörður an, der liegt ja sozusagen bei dir vor der Haustür«, sagte Bóas. »Da stehen zwei Monster rum, die rund um die Uhr Gift über das Land spucken! Für wen? Für irgendwelche wahnsinnig reichen Ausländer, die wahrscheinlich nicht einmal wissen, wo Island auf der Landkarte zu finden ist! Die wollen keine Kohlekraftwerke bei sich vor der Tür, also holen sie sich den Strom billig bei uns!«
Er reichte Erlendur noch einmal den Flachmann, doch der nippte diesmal nur vorsichtig daran. Anschließend zog Bóas ein sorgfältig in einer Plastiktüte verpacktes Bündel aus dem Beutel, das einen fürchterlichen Gestank verbreitete, als er es auswickelte. Es war vergammeltes Fleisch, das er in hohem Bogen in Richtung des Fuchsbaus warf. Dann wischte er sich die Hände im Moos ab und lehnte sich zurück, das Gewehr griffbereit neben sich.
»Der wird das schon bald wittern«, erklärte Bóas.
Eingehüllt von Nebel und Nieselregen saßen sie eine ganze Weile schweigend da, doch dann ergriff Bóas wieder das Wort.
»Du kannst dich natürlich nicht an mich erinnern«, sagte er.
»Sollte ich das?«, fragte Erlendur hustend.
»Nein, unwahrscheinlich«, sagte Bóas. »Du warst ja auch völlig daneben damals. Deine Eltern kannte ich eigentlich kaum, wir hatten nichts miteinander zu tun.«
»Was meinst du? Wieso war ich völlig daneben?«
»Damals«, sagte Bóas, »als wir nach dir und deinem Bruder gesucht haben.«
»Warst du dabei?«
»Ja, ich war dabei. Bei der Suche waren alle
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