Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Wetter unterwegs zu sein, und hoffte, dass die Leute vernünftig genug sein würden, zu Hause zu bleiben. Ein solches Unwetter hatte er nicht mehr erlebt, seit er in die Ostfjorde gekommen war. In den schlimmsten Orkanböen hatte er das Gefühl, dass im nächsten Moment das Dach von seinem Haus gerissen würde.
»Sie wollte zu ihrer Mutter gehen!«, sagte Jakob aufgeregt. »Sie wollte zu Fuß über die Berge! Ich bin dabei, eine Suchmannschaft zusammenzutrommeln. Kommst du mit?«
»Natürlich«, sagte Ezra. »Ist sie wirklich bei diesem Sturm und Regen unterwegs?«
»Du hast sie nicht gesehen oder getroffen?«, fragte Jakob.
»Nein«, sagte Ezra.
»Sie wollte nämlich vielleicht noch mal bei dir vorbeischauen.«
»Tatsächlich?«, sagte Ezra. Beinahe wäre ihm die Zunge durchgegangen und er hätte hinzugefügt, dass er nichts von einem geplanten Besuch in Reyðarfjörður wusste, aber in letzter Minute besann er sich.
»Sie wollte dich wegen irgendetwas sprechen«, sagte Jakob.
»Keine Ahnung, was das gewesen sein könnte«, antwortete Ezra. Er starrte Jakob an und versuchte, es so aussehen zu lassen, als fiele er aus allen Wolken, als wäre er völlig überrascht, dass Matthildur etwas von ihm gewollt haben könnte, als wäre sie kein ständiger Gast in seinem Haus, als sei nichts zwischen ihnen, als sei sie nicht entschlossen gewesen, Jakob zu verlassen, als hätten sie nicht vorgehabt, anderswo ein gemeinsames Leben zu beginnen, als hätten sie sich nicht in dieser Küche geliebt, genau dort, wo jetzt Jakob stand.
Er zwang sich zu einer Art von Lächeln, das Raum für alle diese Lügen bot.
»Nun ja, das wird sich vielleicht herausstellen«, entgegnete Jakob.
Ezra schlüpfte in Windeseile in seine wetterfeste Kleidung und folgte Jakob. Es war ihm nicht anzumerken gewesen, ob er etwas über die heimliche Beziehung zwischen Ezra und Matthildur wusste. Möglicherweise hatte er einen Verdacht, zog es aber vor, nichts darüber zu sagen. Ezra jedenfalls hatte den Eindruck, als mache sich Jakob wegen des Unwetters große Sorgen um Matthildur. Sie gingen von Haus zu Haus, um eine Suchmannschaft zusammenzustellen, und dabei erfuhren sie, dass bereits viele Leute unterwegs waren, um nach den britischen Besatzungssoldaten aus Reyðarfjörður zu suchen, die nicht in Eskifjörður angekommen waren. Der Bauer von Veturhús hatte sie alarmiert und schon einige der Männer retten können.
Ezra und Jakob schlossen sich dieser Suchmannschaft an, denn Jakob ging davon aus, dass seine Frau ebenfalls vorgehabt hatte, den kürzesten Weg nach Reyðarfjörður über die Berge zu nehmen, über die Irrlichtscharte. Vermutlich hatte sie es schon bis dort hinauf geschafft, als der Orkan in voller Stärke hereinbrach. Das Wetter tobte immer noch so wild, dass eine Suchaktion wahrscheinlich hoffnungslos war, doch weder Ezra noch Jakob ließen sich davon abhalten.
»Warum bist du denn nicht eher zu mir gekommen?«, schrie Ezra, als sie sich auf den Weg zur Irrlichtscharte gemacht hatten. Sie kamen kaum vorwärts.
»Ich bin eingeschlafen, ich hab den ganzen Tag geschlafen, und als ich aufwachte, war das Unwetter bereits hereingebrochen«, sagte Jakob. »Ich hätte sie niemals losziehen lassen, wenn ich gewusst hätte, was für ein Wetter im Anmarsch war.«
»Bist du sicher, dass sie nicht schon drüben in Reyðarfjörður angekommen ist?«
»Ja. Ich habe mit denen in Reyðarfjörður telefoniert, sie stellen auch eine Suchmannschaft zusammen.«
»Wir müssen sie finden.«
»Sie wird es schon schaffen«, schrie Jakob.
Sie kämpften gegen Sturm und peitschenden Regen an, doch ihre Rufe wurden vom Toben des Sturms erstickt. Nach kurzer Zeit waren sie gezwungen, aufzugeben, und das Gleiche galt für die Leute, die von Reyðarfjörður aus losgezogen waren, um nach Matthildur zu suchen. Schon nach ein paar Hundert Metern wurde ihnen klar, dass sie abwarten mussten, bis der Sturm sich gelegt hatte, wenn sie sich nicht selbst in Lebensgefahr bringen wollten.
Am nächsten Tag hatte das Unwetter endlich nachgelassen. Die Suchmannschaften trafen bei der Irrlichtscharte aufeinander, ohne dass sie auf Matthildur gestoßen waren. Die Suche wurde an den folgenden Tagen fortgesetzt, aber ohne Erfolg.
– – –
Hrund bat Erlendur, ihr behilflich zu sein, sich etwas aufzurichten.
»Das ist in groben Zügen das, was Ezra seinerzeit meiner Mutter gesagt hat. Von ihr habe ich diese Geschichte, und ich glaube, sie ist einigermaßen
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