Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
gezogen. Wir haben nicht viel Verbindung zueinander, aber trotzdem wusste ich, dass sie gegen meine Ehe mit Jakob war. Ich hatte keine Ahnung, weshalb, und in diesem Brief hat sie es mir geschrieben. Wenn du magst, kannst du ihn lesen.«
Sie reichte ihm den Brief, den er einmal las und noch einmal, und dann legte er ihn auf den Tisch.
»Was sagt Jakob dazu?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete Matthildur. »Er erinnert sich an eine Ingunn in Djúpivogur, so viel gibt er zu. Er sagt, es sei ausgeschlossen, dass das Kind von ihm ist. Genau das habe er auch Ingunn gesagt, aber sie sei anscheinend immer noch von dieser fixen Idee besessen. Er sagt, dass sie übergeschnappt ist.«
»Hast du davon gewusst?«
»Ingunn hat nie mit mir darüber gesprochen, erst jetzt. Ich wusste natürlich, dass sie in Reykjavík ein Kind zur Welt gebracht hatte, aber ich habe das nie mit Jakob in Verbindung gebracht. Niemals.«
»Als ihr euch kennenlerntet, hat er da gewusst, dass sie deine Schwester war?«
»Ja. Und ich wusste auch, dass sie sich irgendwie kannten«, sagte Matthildur, »aber weiter nichts. Ich wusste nichts über das Kind oder über ihr Verhältnis in Djúpivogur. Er hat nie darüber geredet, und erst recht nicht über dieses Kind. Das tut er immer noch nicht. Er will nicht darüber reden, er sagt, ich soll meinen Mund halten. Er hat mich geschlagen, und dann ist er aus dem Haus gelaufen. Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Er hat dich geschlagen?«
»Ja. Am Kopf.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Es kam nur so überraschend.«
»Du glaubst deiner Schwester?«
»Ja.«
»Was wirst du machen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Matthildur. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich wollte mit dir sprechen, ich wollte wissen, ob du davon wusstest. Hast du gewusst, dass er ein Kind mit meiner Schwester Ingunn hat?«
»Davon hatte ich wirklich keine Ahnung«, sagte Ezra.
»Hat er nie mit dir darüber gesprochen?«
»Nein, nie.«
»Vielleicht gibt es ja überall Kinder von ihm. Wahrscheinlich hat er sich da in Djúpivogur an alle möglichen Frauen herangemacht!«
Sie streckte ihre Hand nach dem Brief aus, und im nächsten Moment hatte er seine Hand vorsichtig auf ihre gelegt, eine beinahe instinktive Reaktion. Sie zog ihre Hand nicht zurück und blickte ihn an.
»Entschuldige«, sagte er und ließ ihre Hand frei. »Ich … Das ist kein … Entschuldige, du bist erregt.«
»Das ist ganz in Ordnung«, sagte sie.
»Ich weiß gar nicht, wie mir zumute ist, so etwas ist noch nie vorgekommen«, flüsterte er.
»Du musst dich dafür nicht schämen«, sagte sie. »Ich fühle mich wohl bei dir.«
Er blickte hoch und sah ihr in die Augen.
»Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist, Ezra«, sagte sie.
»Du weißt nicht, wie ich mich gefühlt habe. Wie ich mich fühle.«
»Vielleicht weiß ich es ein wenig«, sagte sie. »Frauen haben ein Gespür für so etwas.«
»Und du hast nichts dagegen?«
Im Dämmerlicht sah er, dass sie den Kopf schüttelte.
»Und was ist mit Jakob?«, flüsterte er.
»Der kann mir gestohlen bleiben«, erklärte Matthildur.
Dreiundzwanzig
Der Arzt kam zur Visite, kontrollierte den Tropf, fragte Hrund nach ihrem Befinden und warf Erlendur verwunderte Blicke zu, doch der schwieg. Der Arzt verließ mit einem knappen Gruß das Zimmer. Hrund bat Erlendur darum, ihre Kissen zurechtzurücken und ihr etwas mehr Wasser zu geben. Er füllte ihr Glas aus der Wasserkanne, die die Krankenschwester gebracht hatte. Hrund trank einen Schluck und stellte das Glas wieder zurück.
»Diese Geschichte hat meine Mutter viele Jahre später aus Ezra herausgeholt«, sagte sie. »Das war nach Jakobs Tod. Ezra hatte nie vorgehabt, irgendjemandem davon zu erzählen, und er hätte es ganz sicher auch nie getan, wenn meine Mutter ihm nicht so zugesetzt hätte. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch sie nur einen Teil der Geschichte zu hören bekommen hat. Ezra ist ein sehr verschlossener und unnahbarer Mensch, aber ich habe ihn immer gemocht.«
»Ich habe ihn nur ein einziges Mal besucht«, sagte Erlendur. »Aber das hat er natürlich mit keinem Wort erwähnt.«
»Nein. Ich glaube, aus dem bekommst du wahrscheinlich nichts heraus«, entgegnete Hrund.
Erlendur glaubte zu sehen, dass sie müde wurde. Er fragte, ob er nicht lieber später wiederkommen solle, damit sie sich etwas ausruhen könne.
»Ausruhen?«, sagte Hrund. »Ich liege doch im Krankenbett, wo kann man sich mehr ausruhen?«
»Ich will dir
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