Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
hergefallen und hättest sie umgebracht.«
Ezra starrte Jakob lange schweigend an.
»Niemand würde dir glauben«, sagte er leise.
»Und dir, Ezra? Würde dir jemand glauben?«
Ezra schwieg.
»Wo ist Matthildur?«, fragte er schließlich.
»Das geht dich nichts an«, sagte Jakob.
»Wie konntest du ihr das antun?«
»Nein, Ezra, wie konntest du ihr das antun?«, sagte Jakob. »Es ist einzig und allein deine Schuld, Ezra. Daran solltest du dich erinnern, wenn du das nächste Mal versuchst, anderen Männern die Frau wegzunehmen!«
»Wo ist sie?«
»Raus mit dir!«
»Sag mir, was du mit ihr gemacht hast!«
»Mach, dass du rauskommst! Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte.«
»Sag mir, wo sie ist, du brutaler Teufel!«, schrie Ezra.
»Raus!«, brüllte Jakob und stand auf. Die Beherrschung, die er bis zu diesem Zeitpunkt an den Tag gelegt hatte, war wie weggeblasen. »Mach, dass du aus meinem Haus kommst, und lass dich mit deiner hässlichen Visage bloß nie wieder bei mir blicken!«, schrie er.
Ezra fiel über Jakob her, und sie gingen zu Boden. Ezra schlug mit aller Kraft zu, Jakob wehrte sich mit seinen Krallen. Sie wälzten sich kämpfend am Boden, bis Jakob die Oberhand gewann.
»Denk daran, du armseliges Arschloch«, zischte er kurzatmig, »es ist alles deine Schuld, denk daran! Das sollst du nie vergessen, du Drecksack.«
Er versetzte Ezra einen schweren Hieb ins Gesicht.
»Dass du es ja nie vergisst!«, brüllte er.
Als er aufgestanden war, kam Ezra wieder auf die Beine. Er wischte sich das Blut von der Lippe und strich sich vorsichtig über sein Kinn. Jede Berührung schmerzte.
»Damit kommst du nicht durch«, sagte er.
»Du bist eine totale Flasche«, sagte Jakob. »Mach, dass du rauskommst! Verpiss dich!«
»Damit kommst du nicht durch«, flüsterte Ezra und bewegte sich rückwärts in Richtung Tür. »Du wirst niemals damit durchkommen.«
Fünfunddreißig
Tiefes Schweigen trat ein. Die Vögel im Garten waren verstummt, und die Dämmerung senkte sich über die beiden Männer in der Küche. Die Katze hatte sich gemütlich auf ihrer Decke zusammengerollt. Ezras Stimme war zum Schluss nur noch ein Flüstern gewesen. Mit der schwindenden Helligkeit draußen schienen auch seine Kräfte nachzulassen. Er saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und sprach so leise, dass Erlendur ihn kaum noch verstehen konnte.
»Und du hast dich also entschlossen zu schweigen«, sagte er.
»Ja«, sagte Ezra. »Ich habe nie zu irgendjemandem darüber gesprochen. Ich hatte nicht den Mut. Von Rückgrat keine Spur.«
»Über solche Dinge sollte man nicht schweigen, gleichgültig, wie sehr man selbst davon betroffen ist. Schweigen ist keines Menschen Freund.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen.«
»Und so gingen die Jahre ins Land?«
»Ja, so gingen sie ins Land.«
Erlendur wusste, wie schwer es dem alten Mann fallen musste, über dieses Geheimnis zu sprechen, das er jahrzehntelang mit sich herumgetragen hatte. All die Jahre hatte er über Jakobs Untat Schweigen bewahrt, auch noch nach dessen Tod, aus Angst davor, selbst mit dem Verschwinden von Matthildur in Verbindung gebracht werden zu können. Er hatte den einfachsten Weg gewählt, um seine eigene Haut zu retten. Erlendur konnte sein Verhalten in gewisser Weise verstehen. Jakobs Drohung war so real gewesen, dass Ezra in eine sehr üble Lage geraten wäre, wenn Jakob sie wahr gemacht hätte. Ezra war tatsächlich in einer schwachen Position, er hatte seinen Freund hintergangen und ihm die Frau ausgespannt. Jakob brannte vor Rachedurst, und er hatte es offensichtlich in der Hand gehabt, Ezra der Tat zu bezichtigen und in eine Lage bringen zu können, in der er sich gegen diese schwere Beschuldigung zur Wehr setzen musste.
»Ich habe klein beigegeben«, sagte Ezra. »Ich hatte Angst. Nein, besser gesagt, ich war vor Entsetzen außer mir. Der Gedanke war mir unerträglich, dass die Beziehung zwischen Matthildur und mir ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt würde und dass sie in den Augen der Leute hässlich und schmutzig sein würde. Ich hatte Angst davor, dass Jakob Gerüchte über mich in die Welt setzen, mich anschuldigen und mich einen Mörder nennen würde. Es ist ihm gelungen, mein Schweigen zu erzwingen. Er hat mir die Wahrheit gesagt, aber es gleichzeitig darauf angelegt, dass ich mich schuldig genug fühlen würde, um zu schweigen. Er hat erreicht, was er wollte.«
Ezra verstummte.
»Er hat gesiegt«, sagte er schließlich. »Er hat über
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