Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Erlendur. »Vielleicht etwas anderes.«
»Suchst du nach etwas Bestimmtem?«
»Nein, es geht nicht um etwas Bestimmtes. Nur nach etwas, was Menschen irgendwo liegen lassen und Füchse sich schnappen können. Ich wollte mich einfach mal umhören, ob du selbst so etwas gefunden oder von anderen Fuchsjägern davon gehört hast. In letzter Zeit interessiere ich mich einfach für Füchse. Wenn du dich an etwas in der Art erinnerst, könnte das hilfreich sein. Vielleicht schwebt mir sogar auch so etwas wie ungewöhnliche Knochen vor.«
»Also in den letzten Jahren kann ich mich da an nichts erinnern«, sagte Lúðvík.
»Aber wenn du weiter zurückdenkst?«
»Mir fällt nichts ein. Du solltest vielleicht mal mit Daníel Kristmunds sprechen. Er lebt in Seyðisfjörður, ein ausgefuchster alter Kerl, wenn man sich so ausdrücken darf, der schon viele Jäger in die Berge begleitet hat.«
»Daníel?«
»Er könnte dir vielleicht weiterhelfen, denk ich mir. Falls er nicht schon tot ist, der Alte.«
»Na schön, mehr wollte ich gar nicht wissen.«
Erlendur bedankte sich und sagte, er wolle ihn nicht weiter stören, er habe ja offensichtlich alle Hände voll zu tun. Irgendwie war er froh, das Gespräch beenden zu können, und machte sich auf den Weg zum Scheunentor. Ihm war es plötzlich unangenehm, mit einem Wildfremden über solche Dinge zu reden.
»Da ist etwas, was die meisten nicht über den Fuchs wissen«, erklärte Lúðvík nachdenklich. Er schien auf einmal Interesse an der Sache bekommen zu haben. »Ich weiß nicht, ob du das in deine Überlegungen einbezogen hast.«
»Und was ist das?«, fragte Erlendur und blieb stehen.
»Füchse sind Aasfresser«, antwortete Lúðvík.
»Das wusste ich nicht.«
»Im Notfall fressen sie auch Kadaver. Teile davon können sie dann auch mit bis zum Bau schleppen. Falls du an so was denkst. Und die können die Schnauze ganz schön voll nehmen, ich hab mal einen beobachtet, der mit dem Vorderteil von einem Lamm davongerannt ist.«
»Du meinst also Lämmer oder Schafe oder …?«
»Was auch immer. Vögel. Füchse sind allerdings nicht in erster Linie Aasfresser, sie lassen nicht andere für sich jagen und töten. Das tun sie selber, und sie haben einen unheimlich sicheren Jagdinstinkt. Aber trotzdem sind sie auch Aasfresser. Man findet oft Knochen von Lämmern und sogar von größeren Schafen, die sie in den Bau geschleppt haben. Ich weiß nicht so richtig, was du mit ungewöhnlichen Knochen meinst«, sagte Lúðvík. »Meinst du solche Knochen? Oder vielleicht Menschenknochen?«
Erlendur schüttelte den Kopf.
»Das war alles«, sagte er und wollte wieder gehen.
Er hatte genug gehört. Der Besuch hatte lange genug gedauert. Mehr wollte er gar nicht hören, der Gedanke an Aasfresser war einfach zu schauerlich.
»Ich habe nie einen Arm oder ein Bein gefunden, falls du das wissen willst«, fuhr Lúðvík fort. »Aber undenkbar ist das nicht. Es ist durchaus möglich, dass Füchse unter Umständen auch so etwas zu schätzen wissen. Wenn beispielsweise jemand oben in den Bergen umgekommen ist, was ja früher gar nicht so selten vorkam. Da habe ich Geschichten gehört …«
Erlendur machte, dass er zum Scheunentor hinauskam, und Lúðvík starrte ihm verständnislos nach. Erlendur beeilte sich zu seinem kleinen Jeep. Der Fuchsjäger hatte mit nur wenigen Worten ein Bild heraufbeschworen, über das Erlendur auf gar keinen Fall weiter nachdenken wollte.
Achtunddreißig
Abends saß er im Schein der Gaslampe auf dem verlassenen Hof, aß ein Sandwich mit Räucherlamm und schlürfte heißen Kaffee dazu, den er sich vom Kiosk geholt hatte. Sein Appetit hielt sich in Grenzen, er aß nur das halbe Brot und zündete sich eine Zigarette an. Er vermied den Gedanken an das Gespräch mit Lúðvík, weil er keinen Sinn mehr darin sah, sich weiter mit Theorien über die Lebensweise von Füchsen zu beschäftigen.
Ezras Geschichte ging ihm sehr nahe, seine Liebesbeziehung zu Matthildur, Jakobs Reaktion, Matthildurs Tod und Jakobs Drohung, den Mord Ezra in die Schuhe zu schieben. Erlendur tendierte dazu, Ezras Darstellung Glauben zu schenken. Er hatte ihm nicht lange zuhören müssen, um die Qualen zu verstehen, die ungeheuerliche Ungewissheit, mit der Ezra bereits seit so langer Zeit lebte, und das schwere Schuldgefühl, das ihm praktisch sein ganzes Leben zugesetzt hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Jakob Matthildur umgebracht und das Wissen über ihre sterblichen Überreste mit
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