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Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Sieben Jahre später wurde Jakobs Schicksal im wahrsten Sinne des Wortes besiegelt. Welchen Anteil hatte Ezra daran? Hatte er gewusst, dass Jakob noch am Leben war? Hatten sie noch miteinander gesprochen? Hatte Jakob Ezra gesagt, was er mit den sterblichen Überresten von Matthildur gemacht hatte?
    Nur ein Mensch konnte Erlendurs Fragen beantworten, und den musste er so schnell wie möglich aufsuchen.

Vierundvierzig
    Weshalb liegst du hier?
    Ständig hört er diese Frage, vergisst sie aber gleich wieder, bis sie das nächste Mal wiederholt und so unerträglich beharrlich und fordernd wird, dass er es nicht mehr ignorieren kann. Er hat sich ein bestimmtes Bild von dem Fragenden gemacht und glaubt, dass es sich um einen verirrten Reisenden handeln muss, den ein merkwürdiger Zufall zu ihm an diese seltsamen Gestade verschlagen hat.
    So wie Bóas am Urðarklettur.
    Trotzdem weiß er, dass es nicht Bóas ist, sondern ein anderer, ein Unbekannter. Er kann keine Antworten geben, die der Reisende akzeptiert, und er ärgert sich über dessen Neugier. Und wieder spürt er eine Nähe, jemand folgt ihm, jemand, der in seinem Schatten steht und sich nicht zu erkennen gibt. Diese Nähe spürt er immer stärker, ohne sie verstandesmäßig analysieren oder zu einem Schluss kommen zu können, wer sich da in der Dunkelheit verbirgt.
    Er weiß nur, dass diese Nähe ihm Angst macht.
    »Solltest du hier liegen?«, hört er fragen.
    »Weshalb nicht?«, antwortet er.
    »Findest du, dass du hier liegen solltest?«
    »Ja.«
    »Warum?«, fragt der Mann.
    »Weil es …«
    »Was?«
    »Wer ist bei dir?«, fragt er.
    »Möchtest du ihn treffen?«
    »Wer ist es?«
    »Es hängt von dir ab. Wenn du ihn treffen möchtest, kannst du das selbstverständlich.«
    »Wer ist es? Weswegen verbirgt er sich?«
    »Er verbirgt sich nicht. Du selber hältst ihn von dir fern.«
    Er spürt, dass der Reisende sich plötzlich entfernt, und in dem Augenblick kommt es ihm so vor, als erinnere er sich an ihn – wo er ihn gesehen hat und wer er war.
    »Bist du das?«, fragt er vorsichtig.
    »Du erinnerst dich also an mich?«, fragt der Mann.
    »Geh nicht«, sagt er, auch wenn ihm der Mann nicht geheuer ist. »Geh nicht!«
    »Ich gehe nicht weit«, hört er ihn sagen.
    »Geh nicht! Sag mir, wer bei dir ist! Woher kommt er? Wer ist er?«
    Er kommt langsam wieder zu Bewusstsein und spürt die beißende Kälte. Er hört das schwache Echo der Rufe in seinem Inneren. Er braucht lange, um sich über seine eigene Lage klar zu werden. Er ist nicht nur am ganzen Körper empfindungslos und kalt, auch seine Gedanken sind taub und kalt und nicht mehr logisch. Das verursacht ihm aber keine besonderen Besorgnisse. Er macht sich keine Sorgen mehr.
    Die Kälte bewirkt, dass er an Wärme denken muss. Er versucht, sich an die herkömmlichen Methoden zu erinnern, mit denen man dem Körper Wärme zuführen kann. In seinen Büchern, die von den Strapazen von Menschen in Bergnot handeln, hat er gelesen, wie manche es schafften, in diesem kalten und unwirtlichen Land unter schwierigsten Umständen zu überleben. Die einfachste und effektivste Methode war, dem lebensgefährlich Unterkühlten mit dem eigenen Körper Wärme zu spenden, wenn nichts anderes zur Hand war. Ob es sich nun um Schiffbrüchige handelte, die aus dem eisigen Meer gefischt wurden, oder Menschen, die bei einem unerbittlichen Schneesturm zum nächsten Hof gebracht werden konnten. Die Retter zogen sich die Kleidung aus und legten sich zu dem Geretteten, mitunter zu zweit, und wärmten mit den eigenen Körpern den durch und durch Ausgekühlten.
    Er denkt an Sonnentage.
    An das Lächeln seiner Mutter.
    An ihre warme Berührung.
    Sein Sinn sucht nach Wärme.
    Nach heißen Sommertagen am Fluss.
    Er blickt zum Himmel hoch und lässt Mittsommersonne sein Gesicht umspielen.
    Da plötzlich erinnert er sich wieder an den Reisenden und weiß, wo er ihn schon einmal gesehen hat. Vor seinem inneren Auge taucht der Tag in Bakkasel auf, als unerwarteter Besuch eintraf, ein Reisender, der nur kurz bei ihnen verweilte, bevor er weiterging. Der Frühling war damals so kalt gewesen, dass die Heuwiesen Schaden genommen hatten und die Schneewehen an den Hängen der Berge nicht schmelzen wollten. Er erinnert sich an die seltsamen Worte über Bergur, die der Reisende zu seiner Mutter gesagt hatte. Erinnert sich, wie sehr er erschrak, als er sie hörte.
    Er hatte nie erfahren, woher der Mann gekommen war oder wohin er wollte, auch wenn er den

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