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Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Eltern bestimmt davon erzählt hatte. Möglicherweise wollte er über die Irrlichtscharte nach Reyðarfjörður oder über den alten Weg nördlich am Harðskafi vorbei hinüber nach Seyðisfjörður. Es tauchten hin und wieder solche unerwarteten Gäste in Bakkasel auf, Leute, die von weither gekommen waren und sich bei ihnen ausruhen wollten und die Gastfreundschaft seiner Eltern genießen durften. Einige waren wie dieser Gast allein unterwegs, manchmal kamen sie aber auch zu zweit oder gar zu dritt, und häufig genug brachten sie Fröhlichkeit ins Haus und zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen, eine willkommene Abwechslung zur Freude aller. Es konnte auch vorkommen, dass jemand darum bat, übernachten zu dürfen, was ihm selbstverständlich gewährt wurde. Diesen Leuten wurde dann im Zimmer der Jungen ein schönes Bett bereitet. Manchmal standen auch Ausländer bei ihnen vor der Tür und versuchten, sich verständlich zu machen, baten um Wasser oder wollten auf ihrem Grund und Boden zelten.
    Dieser Reisende hatte den Eindruck eines routinierten Wanderers gemacht. Erlendur sah das an seinen Bewegungen, seiner Kleidung und nicht zuletzt an dem beeindruckenden Wanderstock, den er bei der Haustür abstellte. Der Mann trug hochgeschnürte Stiefel mit dicken Sohlen, eine Kniebundhose und eine bis zum Hals zugeknöpfte Lederjacke. Seine wollenen Handschuhe hatten keine Spitzen, sodass man seine starken Finger sehen konnte, mit denen er sich über den Bart strich, während sie sich unterhielten.
    Merkwürdig war, dass er sich benahm, als sei er bei ihnen zu Hause. Er setzte sich zu seinen Eltern in die Küche und ließ sich den Kaffee und die belegten Brote schmecken. Er sprach über das Wetter, vor allem über das kalte Frühjahr, über die Gegend und die Natur ringsum. Er erkundigte sich aber nach Orten und Ortsnamen, als sei er noch nie dort gewesen. Vielleicht kam er aus dem Süden, vielleicht sogar aus Reykjavík, der großen Stadt, die so fern schien wie sämtliche anderen Großstädte dieser Welt. Erlendur traute sich nicht, den Gast anzusprechen, er stand nur in der Küche und lauschte dem Gespräch. Bergur war bei ihm, hörte ebenfalls zu und sah, wie der Gast Kaffee trank und von den Broten aß, die ihre Mutter ihm vorgesetzt hatte.
    Der Mann warf den Jungen hin und wieder Blicke zu und schenkte ihnen ein Lächeln. Bergur war nicht scheu und sah ihm direkt in die Augen, doch der schüchterne Erlendur wich seinem Blick aus. Schließlich verließ er die Küche und ging in ihr Zimmer. Er konnte sich genau an den gutmütigen Ausdruck im Gesicht des Mannes erinnern, den klaren Blick, die Klugheit, die sich hinter seiner hohen Stirn verbarg, die Weisheit, die aus seinen Worten sprach. Der Mann war in jeder Hinsicht außerordentlich sympathisch, und trotzdem hatte er etwas an sich, das ihm Angst machte. Deswegen hielt er es nicht mehr in der Küche aus, deswegen konnte er nicht im gleichen Raum bleiben. Er wollte, dass der Mann ging. Aus irgendwelchen ihm völlig unerfindlichen Gründen ging eine Bedrohung von dem Gast aus.
    Als er sich wieder aus dem Zimmer heraustraute, war der Gast im Aufbruch. Er hatte sich für die gute Aufnahme und die Bewirtung bedankt und stand vor dem Haus, den Wanderstab in der Hand. Er hatte noch ein paar Worte mit Bergur gewechselt, der draußen in der Kälte bei seinen Eltern stand, und zum Abschied sagte er diese überaus seltsamen Worte, die er besonders an ihre Mutter richtete. Er lächelte, während er dieses schicksalsträchtige Urteil abgab.
    »Euer Junge hat eine schöne Seele«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie lange ihr ihn bei euch behalten dürft.«
    Sie sahen den Mann nie wieder.
    Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Reisende, der in der Kälte zu ihm kommt, derselbe Mann ist, der sie in Bakkasel besucht hatte und diese unbegreiflichen Worte über Bergur fallen ließ, so wahr und so grausam. Während sein Bewusstsein langsam schwindet, wird ihm allmählich klar, wer da bei ihm ist, wer ihm da folgt wie ein Schatten und sich nicht zeigen will.

Fünfundvierzig
    Erlendur hörte das Klopfen aus dem Schuppen, als er aus dem Auto stieg. Er näherte sich Ezras Haus, hatte aber keine Eile. Er hatte ungewöhnlich gut und lange geschlafen. Es war schon nach zwei gewesen, als er zum Schwimmbad gefahren war. Danach hatte er ein verspätetes Mittagessen in einem Restaurant genossen, fangfrischen Schellfisch mit Pellkartoffeln und dazu Roggenbrot. Er hatte ordentlich Butter über

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