Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
den Fisch und die Kartoffeln gegeben und auch das Brot dick mit Butter bestrichen, die Kalorien würden wärmen. Die Kälte der Nacht, die er an Jakobs Grab verbracht hatte, steckte ihm immer noch in den Knochen.
Er ging zum Schuppen hinunter. Die Tür stand weit auf, und drinnen saß Ezra mit dem Schlaghammer und hämmerte in stetigem Rhythmus auf den harten, getrockneten Fisch ein. Er schenkte Erlendur keine Beachtung, der ihn geraume Zeit beobachtete. Die Schrotflinte war nirgends zu sehen. Der alte Mann arbeitete ruhig und unbeirrbar, diese gleichmäßigen Bewegungen waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
»Bist du schon wieder hier?«, fragte er, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Er hatte Erlendur also doch bemerkt, schien sich aber dadurch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ich kann dir nichts mehr sagen«, fuhr er fort. »Mit irgendwelchen Tricks und Kniffen ist es dir gelungen, alles aus mir herauszuholen. Ich hätte dir nie etwas sagen sollen. Ich habe nichts mit dir zu schaffen, keine Ahnung, warum ich es dir gesagt habe.«
»Ich erst recht nicht«, entgegnete Erlendur. »Aber gesagt hast du es mir trotzdem.«
Ezra sah hoch.
»Willst du mich zum Narren halten?«, fragte er.
»Nein«, sagte Erlendur. »Es kommt mir eher so vor, als sei ich der Narr.«
Ezra hatte den Hammer bereits erhoben, um ihn auf den nächsten Fisch niedergehen zu lassen, den er aus einem Plastikkorb gefischt hatte, hielt aber mitten in dieser Bewegung inne. Er ließ die Hand sinken und blickte Erlendur an.
»Um was geht es eigentlich?«
»Es geht um deinen Freund Jakob.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Ist da vielleicht etwas, was du deiner Geschichte von Jakob hinzufügen möchtest?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher.«
»Ich fürchte, das reicht mir nicht.«
Ezra sah Erlendur lange an. Er legte den Hammer beiseite, ließ den Fisch wieder in den Korb fallen und stand auf.
»Ich habe dem, was ich gesagt habe, nichts hinzuzufügen«, sagte er. »Ich wäre dir dankbar, wenn du mich in Ruhe lassen würdest.«
Er stapfte langsam und mit hängenden Schultern an Erlendur vorbei nach draußen und zum Haus hinauf. Er trug einen verschlissenen Anorak und die Mütze mit den hängenden Ohrenklappen. Erlendur zögerte einen Augenblick, denn er war sich nicht sicher, ob es richtig war, weitere Wunden im Leben des alten Mannes aufzureißen. War das wirklich seine Aufgabe? In der Nacht hatte er auf der Rückfahrt von Djúpivogur die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob es ihm oder anderen irgendetwas nutzen würde, zu erfahren, was genau sich zwischen Ezra und Jakob abgespielt hatte. Erlendurs Wissensdrang war befriedigt, er hatte bekommen, wonach er gesucht hatte, die Antworten auf seine Fragen. Er war ein Unbeteiligter und ihn ging dieser Fall nichts an, auch wenn er bei der Polizei war. Das einzige Verbrechen, das seines Wissens begangen worden war, wenn man Ezra Glauben schenken durfte, war der Mord an Matthildur. Was der Mörder mit der Leiche gemacht hatte, war vermutlich ein Problem, das nie gelöst werden würde. Jakobs Tat hatte nie zu einer strafrechtlichen Ermittlung geführt, und dazu würde es wohl auch nicht mehr kommen. Ezra musste selbst entscheiden, ob er mit seinen Informationen über die damaligen Ereignisse an die Öffentlichkeit gehen wollte. Erlendur hatte nichts dergleichen vor und würde es auch nicht von ihm verlangen. Wem konnte es von Nutzen sein, dass die Wahrheit nach so vielen Jahren und Jahrzehnten ans Licht käme? Weshalb etwas ausgraben, was am besten begraben war? Wem wurde damit ein Gefallen getan?
Auf derartige Fragen hatte Erlendur im Laufe der Jahre oft eine Antwort finden müssen und war in den seltensten Fällen zu einem schlüssigen oder allgemeingültigen Ergebnis gekommen. So etwas musste sich jeweils nach der Sachlage richten. Er wünschte sich fast, nie in Ezras Angelegenheiten herumgekramt zu haben, aber dazu war es nun zu spät. Das, was er in Erfahrung gebracht hatte, ließ ihn einfach nicht mehr los, und er konnte nicht anders, als nach Erklärungen zu suchen. Es ging ihm nicht darum zu bestrafen, und er hatte es sich nicht zum Ziel gesetzt, die Gefängnisse mit beklagenswerten Menschen zu füllen. Ihm ging es einzig und allein darum, die Wahrheit herauszufinden. Für ihn hatte es immer nur diese eine Leitlinie gegeben, Antworten auf die Fragen zu finden, die ihn bedrängten. Das zu finden, was verloren und
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