Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
können, hatte er sich keine Pause gegönnt, bis das letzte Rasenstück wieder auf dem Grab gelegen hatte. Ihm taten Arme und Beine weh, und an den Händen hatte er Schürfwunden vom Griff des Spatens. Es war sehr lange her, seit er sich zuletzt solchen körperlichen Anstrengungen ausgesetzt hatte.
    Doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Vielleicht weil der Gedanke an Ezra im Eishaus, in dem die Leichen aufbewahrt worden waren, ihm keine Ruhe ließ. Oder die Gedanken an Jakob in seinem Sarg und das Rätsel um Matthildur. Er wusste immer noch nicht, was er mit den Informationen machen sollte, die er sich auf diese schauerliche Weise beschafft hatte. Er würde mit Ezra sprechen müssen, wenn er wieder aufgewacht war, und möglicherweise würden sich daraus die nächsten Schritte ergeben. Er musste ihn fragen, was damals im Eishaus vorgefallen war.
    Seiner Ansicht nach hatte Ezra gewusst, wie es um Jakob stand, als der Deckel seines Sargs zugenagelt wurde.
    In den Berichten über Menschen, die für tot erklärt worden waren, aber dennoch wieder zum Leben erwachten, wurde häufig erwähnt, dass dies auf medizinische Versäumnisse zurückzuführen war. Aber es war nicht ein Verdacht in diese Richtung gewesen, der Erlendur auf die richtige Spur gebracht hatte, sodass er sich dazu gezwungen gefühlt hatte, bis zu seinem Sarg vorzudringen. Ezras Bericht darüber, was zwischen ihm und Jakob vorgefallen war, hatte Erlendur aufhorchen lassen, und nicht zuletzt auch das, was Ármann über Geräusche aus dem Sarg gesagt hatte. Hinzu kamen Erlendurs Wissen über Kälte und ihre Einwirkung auf den Körper und die Tatsache, dass Ezra direkten Zugang zum Eishaus gehabt hatte, wo Jakobs Leiche aufbewahrt worden war. Das alles hatte bei Erlendur den Verdacht bestärkt, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Auch die Geschichte des alten Þórður über die drei Fischer in den Westfjorden, die man für tot gehalten hatte, die aber trotzdem noch imstande gewesen waren, sich von der Bahre zu erheben, um auf sich aufmerksam zu machen, hatte ihre Wirkung auf ihn gehabt. Zum Schluss war Erlendurs Verdacht so stark gewesen, dass er hatte handeln müssen. Er musste Antworten bekommen, um jeden Preis, auch wenn es Grabschändung bedeutete. Es ging ihm nicht darum, sein Vorgehen zu entschuldigen, er wollte es nur rechtfertigen.
    Welche Antworten hatte er bekommen? Was war bei seiner Schufterei auf dem Friedhof herausgekommen?
    Er hatte die Antwort auf die Frage erhalten, die ihn am meisten bedrängt hatte: Jakob war lebendig begraben worden. Er war noch am Leben gewesen, als sein Sarg in die Erde gesenkt wurde. Erlendur hatte es geschaudert, als ihm klar geworden war, was sich im Sarg abgespielt hatte, als er die Spuren der grausigen Verzweiflung sah, von der sie Zeugnis ablegten. An der Position des Skeletts hatte er die Qualen ablesen können, an den erhobenen Händen, an der Lage des Kopfes, an den klaffenden Kiefern, dem gebrochenen Finger und den beiden Zähnen, die im Oberkiefer fehlten. Jakob war nach den Torturen im Meer und aufgrund der Kälte im Eishaus mehr tot als lebendig gewesen, trotzdem hatte er etliche Spuren im Holz hinterlassen. Sein Lebenswille war beispiellos gewesen, sein Tod eine unbeschreibliche Qual.
    Was Erlendur aber den Tatsachen, die aus dem Sarg zu ihm sprachen, nicht entnehmen konnte, war die Antwort auf die Frage, weshalb Jakob lebendig begraben worden war. Diese Antwort konnte ihm nur jemand anderes geben. War es aus Fahrlässigkeit geschehen oder hatte Absicht dahintergesteckt?
    Erlendur glaubte, solche Menschen wie Ezra zu kennen, auch wenn es ihm natürlich nie gelingen würde, seinen Charakter vollständig auszuloten. Ihm war klar, dass er nicht das Geringste mit den vielen anderen Verbrechern gemein hatte, denen er begegnet war. Ezra war weder gewissenlos noch gewalttätig. Er war wie viele andere unbescholtene Menschen, die Erlendur im Laufe seines Lebens kennengelernt hatte, die sich in ihrem ganzen Leben noch nicht einmal eine Parksünde hatten zuschulden kommen lassen. Konnte er trotzdem wissentlich und willentlich diese entsetzliche Tat begangen haben, die Erlendur durch das Ausgraben des Sargs aufgedeckt hatte?
    Wenn all das, was Ezra ihm gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, hatte er wahrhaftig allen Grund gehabt, sich zu rächen. Wenn es tatsächlich stimmte, dass Jakob Matthildur umgebracht, die Leiche verscharrt und sich konstant geweigert hatte, Ezra den Ort zu verraten.

Weitere Kostenlose Bücher