Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
unterstehst du dich, Mensch!?«
»Ich habe mir das angeschaut, was noch von Jakob in seinem Sarg übrig war, und das war kein schöner Anblick«, sagte Erlendur. »Der Kopf war nach hinten gebogen, und die Kiefer klafften weit auseinander.«
Ezra hatte sich auf einen altersschwachen Korbstuhl in der Ecke der Küche fallen lassen und starrte auf den Boden. Es sah so aus, als sei er nicht imstande, Erlendur in die Augen zu blicken. Er war leichenblass geworden.
»Möchtest du meine Meinung darüber wissen, weshalb die Zähne neben ihm lagen?«, fragte Erlendur, zog einen Stuhl heran und setzte sich.
»Wer bist du?«, stöhnte Ezra und sah Erlendur jetzt offen und empört in die Augen. »Wer … Wer bringt so etwas über sich? Du kannst nicht ganz bei Trost sein.«
»Das höre ich nicht zum ersten Mal«, sagte Erlendur. »Ich möchte unbedingt wissen, was im Eishaus passiert ist, als Jakob dort aufgebahrt wurde.«
Ezra gab ihm keine Antwort.
»Ich glaube, ich weiß, warum die Zähne nicht an ihrem Platz waren«, sagte Erlendur. »Das habe ich an den Spuren unter dem Deckel des Sargs gesehen. Weißt du, was meiner Ansicht nach passiert ist?«
Ezra saß schweigend auf seinem Stuhl. Er schlug die Hände vors Gesicht.
»Glaubst du, dass du die ganze Wahrheit ertragen kannst?«, fragte Erlendur.
»Die Zähne kannst du überall herhaben«, sagte Ezra ohne Überzeugung.
»Nein«, sagte Erlendur. »Und du weißt das.«
»Ich bitte dich«, sagte Ezra. »Weshalb lässt du mich nicht in Frieden? Verschwinde um Himmels willen von hier und komm nie wieder. Ich weiß nicht, weshalb du mich so hartnäckig verfolgst. Ich habe dir nicht das Geringste getan. Ich kenne dich überhaupt nicht, aber du hast mich dazu gebracht, dir von Matthildur und mir zu erzählen. Findest du nicht, dass es reicht? Geh doch und lass mich in Frieden sterben.«
»Hat Jakob dir verraten, was er mit ihr gemacht hat?«
»Nein, er hat es mir nie gesagt. Geh bitte, und lass mich in Ruhe.«
»Falls auch nur die geringste Chance besteht, möchte ich dir helfen, sie zu finden«, sagte Erlendur. »Du fragst, warum ich dich nicht in Ruhe lasse, und die Frage verstehe ich gut. Ich hoffe, dass es dir mit meiner Antwort ebenso geht.«
Ezra hielt immer noch die Hände vors Gesicht.
»Es ist ganz einfach«, sagte Erlendur. »Ich will dir helfen, Ezra. Das ist die einzige Antwort, die ich habe. Und ich glaube, ich helfe dir tatsächlich, selbst wenn es schwierig für dich ist, das einzusehen, geschweige denn, es zu begreifen. Ich weiß, dass es im Augenblick nicht den Anschein hat, aber es geht mir darum, Matthildur zu finden. Wenn du weißt, wo sie ist, möchte ich, dass du es mir sagst, Ezra. Wenn du es nicht weißt, will ich alles daransetzen, dass sie gefunden wird.«
»Ich weiß nicht, wo sie ist«, sagte Ezra. »Und du wirst sie nie finden.«
»Ich suche nicht nach Schuldigen«, fuhr Erlendur fort. »Ich bin nicht auf der Suche nach einem Verbrecher, und ich bin auch nicht an Bestrafung interessiert. Das hier ist kein Fall für die Polizei. Du brauchst keine Angst zu haben, dass irgendwelche Außenstehende auch nur ein Wort von dem erfahren, worüber wir in dieser Küche gesprochen haben. Irgendwann wird man sehen, dass sich jemand an Jakobs Grab zu schaffen gemacht hat, vielleicht in ein paar Tagen oder Wochen, vielleicht auch erst nach Monaten. Ich habe zwei Ortsansässige nach Jakob gefragt. Sie könnten da unter Umständen eine Verbindung herstellen, aber sie wissen weder, wer ich bin, noch, woher ich komme. Sie kennen mich nur als jemanden, der sich für Geschichten über Schiffbrüche in den Ostfjorden interessiert. Und selbst wenn jemand feststellt, dass das Grab angerührt worden ist – niemand wird auf die Idee kommen, dass der Sarg geöffnet wurde. Es wird eher nach einem Anfall von Vandalismus aussehen. Das hoffe ich zumindest.«
Ezra hatte die ganze Zeit stumm dagesessen.
»Mein einziges Ziel ist es, Matthildur zu finden«, sagte Erlendur.
»Weshalb?«, fragte Ezra.
Jetzt blieb Erlendur ihm die Antwort schuldig.
»Du hast deinen Bruder nie gefunden«, sagte Ezra so leise, dass Erlendur es kaum hörte.
»Das stimmt.«
»Aber du glaubst, dass du meine Matthildur finden kannst?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Du musst mir von Jakob erzählen. Ich weiß, wie schwierig das für dich ist, auch nach all diesen Jahren. Aber du musst mir darüber berichten.«
»Da gibt es nichts zu berichten.«
»Ezra, hilf mir,
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