Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
im Auto auf der Straße von Eskifjörður nach Reyðarfjörður unterwegs gewesen, als sie auf dem Meer bei Skeleyri vor den Hólmaborgir-Felsen ein Licht zu sehen glaubten.
Sogar im Auto hatten sie wegen des Unwetters erhebliche Schwierigkeiten gehabt und waren im Begriff gewesen, kehrtzumachen und nach Eskifjörður zurückzufahren. Sie vermuteten gleich, dass es sich um die Positionslichter eines Bootes handeln musste, das den Klippen gefährlich nahe gekommen war, und durch das dichte Schneetreiben hindurch sahen sie, dass das Boot auf die Felsenschären bei Skeleyri zutrieb. Sie fuhren näher ans Ufer heran und konnten dann zwei Männer an Bord ausmachen, die kalt und erschöpft um ihr Leben kämpften. Das Boot musste wohl Maschinenschaden gehabt haben, zumindest konnten sie kein Motorengeräusch hören, doch bei dem brüllenden Sturm hörten sie auch ihre eigenen Rufe kaum. Das Boot trieb schnell Richtung Land und rammte die Schären. Die vier im Auto versuchten, den Männern auf dem Boot ein langes Seil zuzuwerfen, das sie dabeihatten, aber das misslang. Die Lage war sehr schwierig, der Sturm toste um die hohen Felsklippen, und die Gischt der anbrandenden Brecher ging über sie hinweg. Das Boot prallte immer wieder gegen die Felsen, doch dann wurde es plötzlich von einem schweren Brecher mitgerissen und vor den Augen der Männer hochgehoben, es kenterte, wurde gegen die Klippen geschleudert und zerschellte. Die beiden Männer auf dem Boot waren über Bord gegangen und im Sog der Wellen verschwunden. Nach einiger Zeit sahen sie aber, wie einer von ihnen auf die Felsen gespült wurde, wo das Wrack lag. Einer aus der Gruppe band sich mit dem Seil fest, kämpfte sich bis zu dem Mann vor und schleifte ihn zurück zu den Kameraden. Der Mann war völlig zerschunden, bei ihm konnte wohl kein einziger Knochen im Leib mehr heil sein. Sie waren überzeugt, dass er tot sein musste. Ihre Rufe nach seinem Kameraden blieben ohne Antwort. Sie wussten, dass er in der kalten See nicht lange überleben konnte. Die Brandung hatte Kleinholz aus der Sigurlína gemacht. Inzwischen waren die Männer auch selbst völlig durchnässt und kalt und machten sich keine Hoffnungen mehr, auch den anderen Fischer zu finden, als einer von ihnen plötzlich einen hellen Fleck am Fuße der dunklen Felsen zu sehen glaubte. Es stellte sich heraus, dass es der andere Seemann war. Er lag auf dem Bauch und war steif gefroren, und das Blut in seinem Gesicht stammte von einer großen Kopfwunde.
Als Ezra beim Eishaus eintraf, hatten sich dort trotz des Sturms, bei dem man kaum aufrecht stehen konnte, etliche Menschen eingefunden. Ein junger und recht nervöser Vertretungsarzt aus Reykjavík hatte bereits beide Männer für tot erklärt. Die vier Männer waren mit den Schiffbrüchigen direkt zu seinem Haus gefahren, er hatte sich ihren Bericht angehört und nicht lange gebraucht, um seine Diagnose zu stellen. Der Bootsbesitzer hatte angeordnet, dass die Leichen im Eishaus aufbewahrt werden sollten, bis man die Angehörigen erreicht und die weiteren Dinge in die Wege geleitet hatte. Man wusste, dass Jakob einen Verwandten in Djúpivogur hatte, der andere Mann stammte aus Grindavík. Er hatte als Saisonfischer in allen möglichen Orten angeheuert, zuletzt in Eskifjörður, und zwar erst vor Kurzem. Der Bootsbesitzer wusste kaum etwas über ihn und hatte keine Ahnung, wie mit ihm zu verfahren war.
Ezra kümmerte sich unverzüglich um die Leichen. Er stellte Holzböcke auf und legte lange Bretter darüber, auf denen früher Fisch filetiert worden war. Die Leichen wurden auf diesen Brettern ausgestreckt. Sie waren starr vor Kälte, und einer von ihnen hatte viel Blut am Kopf. Ezra glaubte zu erkennen, dass es Jakob war.
Die anderen Leute zogen sich nach und nach zurück. Bald war Ezra allein mit den Leichen, und im Eishaus kam alles zur Ruhe. Ezra war müde nach einem langen Arbeitstag, und ihm war kalt. Sollte er wirklich Leichenwache halten, oder war es nicht besser, nach Hause zu gehen und zu versuchen, etwas Schlaf zu finden? Er hatte noch gar nicht richtig begriffen, dass Jakob tot war. Dass der Mann, den er abgrundtief hasste, an dem er sich so oft hatte rächen wollen für das, was er Matthildur angetan hatte, nicht mehr am Leben war. Er hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, was für eine Bedeutung es für ihn haben würde, dass Jakob tot war, doch jetzt wurde ihm klar, dass es von nun an keine Möglichkeit mehr geben würde, ihre sterblichen
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