Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Bord gegangen und ertrunken.
»Du kümmerst dich gut um sie, mein lieber Ezra«, sagte er.
»Von Kümmern kann doch keine Rede sein«, entgegnete Ezra in dem Versuch, so zu tun, als sei alles in Ordnung. Es hatte sich nach dem Schock, als er zu sehen glaubte, dass Jakobs Lippen sich bewegten, noch nicht wieder ganz unter Kontrolle. Er versuchte, dem Bootsbesitzer gegenüber so unbefangen wie möglich aufzutreten, aber er spürte, dass ihm unter seiner Mütze die Schweißtropfen auf der Stirn standen.
»Mit den Angehörigen von îskar in Grindavík habe ich noch keine Verbindung aufnehmen können«, fuhr der Bootsbesitzer fort und vermied es, in Richtung der Leichen zu blicken. »Ich weiß kaum etwas über ihn. Bei Jakob ist die Sache einfacher. Seine Eltern in Reykjavík sind beide tot, und er hatte keine Geschwister. Sein Onkel in Djúpivogur hat mich gebeten, einen Sarg für ihn zimmern zu lassen. Er wird am späten Nachmittag kommen, um seine Leiche abzuholen. Sie wollen das möglichst schnell hinter sich bringen, er sagt, es gäbe keine Zeit zu verlieren. Was natürlich vollkommen richtig ist. Sie müssen nämlich noch heute das Grab ausheben, bevor wir noch mehr Frost bekommen.«
»Das … Ich … Ja, da haben sie natürlich recht.«
»Es darf auch nicht viel kosten«, fuhr der Bootsbesitzer achselzuckend fort. »Das hat er klipp und klar gesagt. Ich bot ihm an, mich an den Kosten zu beteiligen, aber das wollte er nicht, davon wollte er überhaupt nichts hören.«
»Genau«, sagte Ezra, um irgendetwas zu sagen.
»Keiner von beiden hatte Familie«, sagte der Bootsbesitzer. »Das ist so etwas wie Glück im Unglück.«
Ezra überlegte angestrengt, was zu tun war. Ihm war gerade erst klar geworden, dass Jakob womöglich noch am Leben war. Unter normalen Umständen hätte er sofort Meldung gemacht, hätte ihn auf dem schnellsten Wege aus dem Eishaus an einen wärmeren Ort gebracht und versucht, ihn bis zum Eintreffen des Arztes nach besten Kräften zu pflegen. Es war seine Pflicht, Menschenleben zu retten, egal, um wen es ging. Das wusste er.
Aber hier ging es um Jakob.
Wenn es irgendjemanden gab, den er hasste, dann Jakob. Ezra war sich nicht sicher, wie er geantwortet hätte, falls ihn jemand einen Tag vorher gefragt hätte, ob er Jakob das Leben retten würde. Und nun lag dieses Leben in seiner Hand. Sein Gewissen befahl ihm, es schrie auf ihn ein, dem Bootsbesitzer zu sagen, was er festgestellt hatte, und Jakob zu Hilfe zu kommen. Ezra musste außerdem jeden Augenblick damit rechnen, dass sich Jakob auf dem Filetierbrett aufrichtete. Die Zeit verstrich. Er sagte nichts, er unternahm nichts. Er machte keinen Versuch, dem tödlich Verletzten zu helfen.
»Hölle, Tod und Teufel«, sagte der Bootsbesitzer. »Du kannst doch sicher so eine einfache Kiste für den Mann zusammennageln, oder nicht? Das Holz dafür holst du dir bei der neuen Fischverarbeitungshalle. Und du machst das natürlich alles so, wie es sich gehört, lieber Freund.«
Ezra nickte zustimmend.
»Und dann wartest du hier, bis die aus Djúpivogur kommen. Dieser Onkel wollte nicht, dass wir irgendwelche Umstände machen, er transportiert den Sarg auf dem Seeweg. Er fand es völlig überflüssig, dass ich zu der Beerdigung komme. Manche Leute sind eben so komisch. Trotzdem werde ich hinfahren. Du hast ihn auch recht gut gekannt, nicht wahr?«
»Ein wenig«, stammelte Ezra. »Wir … Vor ein paar Jahren waren wir zusammen auf der Sigurlína.«
»Ach ja«, sagte der Bootsbesitzer. »Entschuldige, daran hätte ich mich natürlich erinnern sollen. Und damals war er mit Matthildur verheiratet, sie war eine großartige Frau. Tja, aber das endete dann leider so, wie es endete.«
»Ja«, sagte Ezra.
Bei der Erwähnung von Matthildur begann eine Idee in ihm aufzukeimen. Er konnte sich noch etwas Zeit damit lassen, Meldung über Jakobs Zustand zu erstatten. Zuerst musste er ihn noch einmal genau in Augenschein nehmen und feststellen, ob er tatsächlich noch am Leben war. Und dann konnte er ihn nach Matthildur fragen, was er mit ihr gemacht hatte. Falls Jakob sich weigerte, würde er sich weigern, ihm zu helfen. Zumindest könnte er das androhen.
Der Bootsbesitzer verabschiedete sich. Ezra sah ihm nach, wie er zur Tür hinausging, er rührte sich nicht von der Stelle. So verstrich geraume Zeit, bevor er sich wieder Jakob zuwandte. Er ging zum Filetierbrett und starrte auf ihn hinunter. Keine Bewegung. Ezra blieb lange neben ihm stehen, ohne dass
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