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Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Kindern, von denen er sich morgens verabschiedete und die ihn abends begrüßten, denen er etwas vorlas und Geschichten erzählte. Jakob hatte diese Zukunft zerstört, als er Matthildur mit bloßen Händen erdrosselte.
    Ezra legte die Planken längs nebeneinander, befestigte sie an Querbalken, und kurze Zeit später war der Kasten fertig. Das Wetter war immer noch schlecht, Schneetreiben und Kälte. Nur wenige Menschen waren unterwegs, aber ab und zu kam doch jemand vorbei und fragte, wie es weitergehen würde. Ezra sagte allen, dass Jakobs Leiche von einem Angehörigen aus Djúpivogur abgeholt würde, die Leiche des Mannes aus Grindavík würde erst einmal nach Reykjavík geschickt werden. Jakob hatte nicht viele Freunde am Ort.
    Nur ein Mann fand sich ein, um Abschied von ihm zu nehmen. Er hieß Lárus und trat so überraschend aus dem Schneetreiben von hinten an Ezra heran, dass der erschrocken zusammenfuhr.
    »Ich habe gehört, dass er noch heute nach Djúpivogur gebracht werden soll«, sagte Lárus, ein nicht sehr großer Mann um die fünfzig, der einige Male zusammen mit Jakob zum Fischen ausgefahren war. Sein Gesicht war zerfurcht, die Zähne gelb von Nikotin, und die Mühen des Daseins hatten seinen Rücken gekrümmt. Ezra kannte ihn nur flüchtig, wusste aber, dass sein Leben kein Tanz auf Rosen gewesen war.
    »Das stimmt«, sagte Ezra und richtete sich auf, den Hammer in der Hand.
    »Und du zimmerst da wohl den Sarg für ihn zusammen?«
    »Ja.«
    »Ich möchte noch einen letzten Blick auf ihn werfen«, sagte Lárus und nickte in Richtung des Eishauses.
    Ezra zögerte.
    »Er ist ganz blutig«, sagte er, um irgendetwas zu sagen. »Er sieht nicht gut aus.«
    »Man hat vermutlich schon Schlimmeres gesehen«, entgegnete Lárus und drückte die Zigarette aus, die er verdeckt in der Hand gehalten hatte. Er schnippte die Glut von der Zigarette und steckte den Stummel in die Tasche.
    »Dann komm«, sagte Ezra, der immer noch nicht wusste, was er tun sollte.
    Sie betraten gemeinsam das Eishaus und gingen zu den Filetierbrettern, auf denen die Leichen lagen. Zu Ezras Erleichterung lag Jakob noch in derselben Stellung wie zuvor, ausgestreckt auf dem Brett, die Arme neben dem Körper, das Gesicht nach oben gewandt. Lárus trat dicht an ihn heran, schlug das Zeichen des Kreuzes über der Leiche und blieb dann eine Weile daneben stehen. Ezra kam es so vor, als würde er ein Gebet für den Toten sprechen. Seine Blicke irrten hin und her, zwischen Jakobs Auge, seinen Lippen und Lárus. Die Zeit schien stillzustehen.
    »Er war ganz in Ordnung«, sagte Lárus plötzlich und drehte sich zu Ezra um. »Wir waren irgendwie befreundet.«
    »Ja«, entgegnete Ezra. »Davon habe ich gehört.«
    »Seine Stunde war gekommen«, erklärte Lárus. »Es war ihm vorherbestimmt zu sterben. Alles hat seine Zeit und seinen Ort.«
    Ezra schielte zu Jakob hinunter, und es kam ihm so vor, als hätte er das Auge geöffnet. Lárus drehte ihm den Rücken zu und bemerkte es nicht.
    »Ja, so viel steht fest«, hörte Ezra sich selber sagen.
    Lárus drehte sich noch einmal zu Jakob um. Ezra starrte auf den Boden. Der Mann musste doch sehen, dass Jakobs Auge halb geöffnet war. Er machte sich auf verwunderte Ausrufe von Lárus gefasst, aber nichts geschah. Ezra sah langsam wieder hoch, Lárus betrachtete Jakob immer noch.
    »Aber er konnte auch ein richtiges Ekel sein«, ließ Lárus sich lautstark vernehmen.
    Ezra schwieg.
    »Ein verdammtes Ekel«, wiederholte er und sah Ezra lange in die Augen, bevor er mit raschen Schritten das Eishaus verließ.
    Als Ezra den Sarg fertig hatte, hob er ihn an einem Ende hoch und zog ihn hinter sich her ins Eishaus. Das Holz glitt knarrend über den unebenen Zementfußboden. Er setzte den Sarg geräuschvoll neben dem Filetierbrett ab und sah Jakob lange an, aber der rührte sich nicht. Ezra ging hinaus und kam mit dem Deckel zurück.
    Dann holte er die Nägel.

Fünfzig
    Ezra hatte den Entschluss zwar erst gefasst, als er das Holz holte und den Sarg zimmerte, doch gereift war er bereits in den Jahren, die ins Land gegangen waren, seit Matthildur aus seinem Leben verschwunden war. Jakob sollte und musste für seine Tat büßen. Ezra wollte Jakob dazu bringen, ihm zu sagen, was aus Matthildur geworden war. Wenn das gelang, war es gut, dann war das Rätsel gelöst, das ihn so lange gequält hatte. An Jakobs Schicksal konnte es allerdings nichts mehr ändern, seine Tage waren gezählt. Er hätte sterben sollen, als das

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