Eisfieber - Roman
immer nicht ganz vom Wahrheitsgehalt der Geschichte überzeugt.
Nigel zuckte mit den Schultern. »Wir haben viel zu tun, wissen Sie …«
»Sie müssen Ihren Aufenthalt womöglich doch etwas verlängern, fürchte ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Straßen bis morgen schon frei sind.«
Die Vorstellung, länger bleiben zu müssen als unbedingt nötig, schien Nigel Kopfzerbrechen zu bereiten. Er schob den Ärmel seines pinkfarbenen Pullovers ein Stückchen hoch und sah auf seine Armbanduhr.
Ich muss irgendwie beweisen, dass ich mit Nigel und den anderen nichts zu tun habe, dachte Kit, während er am Herd herumhantierte. Ich darf diese »Fremden« weder verteidigen noch in Schutz nehmen, dachte er, sondern muss so tun, als kämen mir Nigels Geschichten auch nicht ganz koscher vor. Am besten stelle ich ihm auch die eine oder andere skeptische Frage … Wenn ich so tue, als hätte ich auch gewisse Vorbehalte gegen die drei, kann ich den Verdacht gegen mich vielleicht ablenken.
Ehe Kit jedoch seine Absichten in die Praxis umsetzen konnte, wurde unvermittelt Elton gesprächig. »Was ist mit Ihnen, Professor?«, fragte er. Kit hatte seinen Vater als Professor Oxenford vorgestellt. »Sieht so aus, als hätten Sie zu Weihnachten die ganze Familie um sich versammelt. Sie haben zwei Kinder?«
»Drei.«
»Mit den jeweiligen Ehepartnern natürlich.«
»Nur meine Töchter haben Partner, Kit ist unverheiratet.«
»Aber Sie haben Enkel?«
»Ja.«
»Wie viele? Ich hoffe, meine Fragerei ist Ihnen nicht zu aufdringlich.«
»Nein, nein, keineswegs. Ich habe vier Enkel.«
»Und die sind alle hier?«
»Ja.«
»Das ist sicher sehr schön für Sie und Ihre Frau.«
»Meine Frau ist leider vor achtzehn Monaten gestorben.«
»Oh, das tut mir aufrichtig Leid für Sie.«
»Danke.«
Was soll denn dieses Verhör, fragte sich Kit. Elton hatte sich vorgebeugt und lächelte, als frage er nur aus freundlicher Neugier. Kit durchschaute ihn jedoch. Der führt etwas im Schilde, dachte er und fragte sich besorgt, ob sein Vater das auch erkannte.
Elton war noch nicht fertig. »Das muss hier ja ein großes Haus sein, wenn hier … wie viele sind Sie jetzt? Zehn? … wenn die alle hier übernachten können.«
»Wir haben noch ein paar Nebengebäude.«
»Oh, wie praktisch.« Elton warf einen Blick aus dem Fenster, obwohl man durch den dichten Schneefall kaum etwas erkennen konnte. »Gästehäuser wahrscheinlich.«
»Ein Gästehaus und eine umgebaute Scheune.«
»Sehr nützlich. Und dann gewiss auch noch eine Unterkunft fürs Personal, nicht wahr?«
»Unser Personal hat ein kleines Häuschen etwa anderthalb Kilometer von hier. Ich fürchte nur, dass wir die beiden heute nicht zu Gesicht bekommen werden.«
»Wie schade.« Elton schwieg wieder – nachdem er erfahren hatte, wie viele Personen sich derzeit auf dem Grundstück aufhielten.
Und wieder fragte sich Kit, ob das außer ihm selbst noch jemandem aufgefallen war.
05.00 Uhr
Der Schneepflug war ein Mercedes-Laster mit einem Vorbauschneepflug am Frontschild. An der Seite trug er die Aufschrift »Baumaschinenverleih Inverburn«, und auf dem Dach blinkte eine orangefarbene Warnlampe, doch Toni kam er vor wie ein geflügelter Himmelswagen.
Die Schaufel war so angebracht, dass sie den Schnee an den Straßenrand schob. Es dauerte nicht lang, bis die Auffahrt vom Pförtnerhaus bis zum Haupteingang des Kremls geräumt war, wobei sich die Schaufel an den Betonschwellen, die zur Geschwindigkeitsreduzierung dienten, automatisch hob. Als das schwere Gefährt vor dem Eingang hielt, hatte Toni bereits ihren Mantel an und war abmarschbereit. Vier Stunden war es jetzt her, dass sich die Diebe mit ihrer Beute davongemacht hatten – doch wenn sie im Schnee stecken geblieben waren, konnten sie immer noch eingeholt werden.
Dem Schneepflug folgten drei Streifenwagen der Polizei und ein Krankenwagen. Die Sanitäter kamen als Erste ins Haus. Sie legten Susan auf eine Bahre und trugen sie hinaus, obwohl sie sagte, sie könne selber gehen. Don weigerte sich mitzugehen. »Wenn ein Schotte jedes Mal, wenn ihm einer was vor den Latz knallt, ins Krankenhaus rennen wollte, kämen die Ärzte ja gar nicht mehr nach«, sagte er.
Frank Hackett betrat die Große Halle im dunklen Anzug mit Hemd und Krawatte. Er hatte sogar Zeit gefunden, sich zu rasieren, vermutlich im Auto. Toni schwante Schlimmes: An seiner finsteren Miene erkannte sie sofort, dass er auf einen Streit
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