Eisfieber - Roman
Textilien – da muss ihr jemand geholfen haben, dachte Craig, von sich aus ist sie bestimmt nicht so ordentlich … Ein seidener Büstenhalter lenkte ihn kurzzeitig ab, dann schloss sich seine Hand um das längliche Gehäuse eines Mobiltelefons. Er klappte es auf, doch das Display blieb dunkel, und bei den herrschenden Lichtverhältnissen konnte er den Knopf zum An- und Ausstellen nicht finden.
Mit dem Telefon in der Hand eilte er die Leiter wieder hinunter. Am Bücherregal gab es eine Stehlampe. Er knipste sie an und hielt Sophies Handy ins Licht, fand den »Power«-Knopf und drückte ihn.
Nichts geschah. Er hätte heulen können vor Wut und Enttäuschung.
»Ich krieg das blöde Ding nicht an!«, flüsterte er.
Sophie, die noch immer auf der Heizung saß, streckte die Hand aus, und Craig reichte ihr den Apparat. Sie drückte auf denselben Knopf, runzelte die Stirn, drückte noch einmal, dann mehrmals rasch hintereinander. Schließlich sagte sie: »Der Akku ist leer.«
»Mist! Wo ist das Aufladegerät?«
»Weiß ich nicht.«
»In deinem Koffer?«
»Nein, ich glaub nicht.«
Craig ging allmählich die Geduld aus. »Wie ist das möglich, dass du überhaupt keine Ahnung hast, wo dein Ladegerät ist?«
»Ich glaube«, sagte Sophie noch leiser als zuvor, »ich hab’s zu Hause liegen lassen.«
»Mein Gott!« Craig beherrschte sich nur noch mit Mühe. Am liebsten hätte er sie angebrüllt und eine dumme Gans geschimpft, aber das hätte ihnen jetzt auch nicht weitergeholfen. Also hielt er den Mund – und musste plötzlich daran denken, wie es war, als er sie geküsst hatte. Nein, er konnte ihr nicht böse sein. Sein Zorn verflog, und er nahm sie in die Arme. »Schon gut«, sagte er. »Ist ja nicht so schlimm.«
Sie legte den Kopf an seine Brust. »Es tut mir so Leid.«
»Lass uns mal überlegen, was wir noch tun können.«
»Es müssen doch noch mehr Handys da sein – oder wenigstens ein Aufladegerät, das zu meinem Handy passt.«
Craig schüttelte den Kopf. »Caroline und ich haben kein Handy – Mutter erlaubt es uns nicht. Sie selber würde ohne ihr Handy nicht mal zur Toilette gehen, aber uns sagt sie, wir brauchten keines.«
»Tom hat auch keines. Miranda sagt, er ist noch zu jung dafür.«
»Mist!«
»Moment mal!« Sophie löste sich aus der Umarmung. »War da nicht ein Telefon im Wagen von deinem Großvater?«
Craig schnippte mit den Fingern. »Im Ferrari, richtig! Und die Schlüssel hab ich stecken lassen! Wir brauchen bloß zur Garage zu gehen und können von dort die Polizei anrufen.«
»Soll das heißen, dass wir noch mal da rausmüssen?«
»Du kannst ja hier bleiben.«
»Nein. Ich komme lieber mit.«
»Du wärst ja nicht allein – Tom und Caroline sind auch hier.«
»Ich möchte aber bei dir sein.«
Craig versuchte sich seine Freude über diese Antwort nicht anmerken zu lassen. »Dann zieh dir am besten deinen Anorak wieder an.«
Sophie sprang von der Heizung. Craig hob ihren Anorak auf und half ihr hinein. Sie sah ihn an, und er versuchte, ihr aufmunternd zuzulächeln. »Fertig?«
Eine Spur ihres alten Abenteurergeistes zeigte sich. »Klar doch. Was kann uns schon passieren? Wir können höchstens ermordet werden, das ist alles. Also, los!«
Es war noch immer stockfinstere Nacht, als sie ins Freie traten, und die Schneeflocken umtaumelten sie nicht wie Schmetterlinge, sondern rauschten in einer Flut aus dichten, stechenden, graupelartigen Körnern auf sie herab. Nervös sah Craig zum Hauptgebäude hinüber, konnte jedoch ebenso wenig erkennen wie zuvor, und das bedeutete, dass auch die Fremden in der Küche kaum erkennen konnten, was auf dieser Seite des Hofs geschah. Er nahm Sophie an der Hand. Geleitet von den Hoflampen, führte er sie zum Ende der Scheune und von dort aus quer über den Hof zur Garage.
Der Seiteneingang war wie üblich nicht abgeschlossen. Drinnen war es genauso kalt wie draußen. Da die Garage keine Fenster besaß, riskierte es Craig, das Licht anzuknipsen.
Der Ferrari seines Großvaters stand dort, wo Craig ihn geparkt hatte, dicht an der Wand, um die Delle zu verbergen. Plötzlich erinnerte er sich wieder an die Scham und die Angst, die er vor zwölf Stunden empfunden hatte, nachdem er mit dem Wagen an den Baum gefahren war. Jetzt konnte er kaum noch begreifen, wie eine läppische Delle ihn so hatte in Panik versetzen können. Was hatte er nicht alles getan, um Sophie zu beeindrucken und ihre Gunst zu gewinnen! Obwohl es noch gar nicht lange her war,
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