Eisfieber - Roman
Kit vor Schmerz aufschrie und seinen Griff löste. Toni stürmte zur Tür hinaus und warf sie hinter sich ins Schloss.
Sie wandte sich nach rechts und lief auf der vom Schneepflug geräumten Spur davon. Hinter ihr knallte ein Schuss, und ganz in ihrer Nähe zersplitterte eine Scheibe. Irgendjemand hatte aus dem Haus auf sie geschossen. Aber die Kugel hatte sie verfehlt.
Toni lief zur Garage und bog auf die ebenfalls geräumte Betonfläche vor den Toren ab. Nun lag das Garagengebäude zwischen ihr und dem Schützen.
Der Schneepflug mit den beiden Polizisten in der Fahrerkabine war längst unterwegs zur Hauptstraße. Da die Zufahrt nach Steepfall schon schneefrei war, konnte er mit angehobener Schaufel und normaler Geschwindigkeit fahren – und das bedeutete, dass sein Vorsprung mittlerweile viel zu groß war und Toni ihn zu Fuß nie hätte einholen können. Jetzt war guter Rat teuer. Solange sie auf der geräumten Strecke blieb, konnte jeder aus dem Haus, der es darauf anlegte, sie verfolgen. Natürlich konnte sie sich verstecken – aber wo? Im Wald gab es Deckung in Hülle und Fülle, aber ihr fehlte ein Mantel. Ihre Fliegerjacke hatte sie ausgezogen, kurz bevor Miranda sich bemerkbar gemacht und sie gewarnt hatte. Toni war klar, dass sie es nicht lange im Freien aushalten würde, und sie konnte sich denken, dass es in der Garage auch nicht viel wärmer war.
Sie lief zum anderen Ende des Gebäudes und spähte um die Ecke. Die Scheunentür befand sich nur wenige Meter entfernt. Konnte sie es wagen, den Hof zu überqueren, obwohl man sie vom Haus aus sehen konnte?
Mir bleibt keine andere Wahl, dachte sie und wollte sich gerade auf den Weg machen, als gegenüber die Tür aufging.
Unschlüssig blieb sie stehen und wartete ab.
Ein kleiner Junge tauchte auf. Er trug einen offenen Mantel über seinem Spiderman-Pyjama und an den Füßen Gummistiefel, die ihm viel zu groß waren. Das ist Tom, dachte Toni, Mirandas Sohn. Der Junge sah sich nicht weiter um, sondern wandte sich sofort nach links und stapfte durch den tiefen Schnee. Wahrscheinlich will er ins Haus, dachte Toni und fragte sich, ob sie ihn nicht aufhalten sollte. Doch dann erkannte sie, dass sie sich geirrt hatte. Statt quer über den Hof zum Hauptgebäude ging Tom zum Gästehaus. Mach schnell, Junge, beeil dich, dachte Toni, damit du aus dem Weg bist, bevor hier die Hölle losbricht … Er sucht vermutlich seine Mutter und will sie fragen, ob er seine Geschenke aufmachen darf … O Gott, er weiß nicht, dass seine Mutter im Hauptgebäude gerade von einer Gangsterbraut mit Wildlederhandschuhen zusammengeschlagen worden ist. Aber vielleicht ist ja sein künftiger Stiefvater noch im Gästehaus …? Toni hielt es für das Beste, den Jungen sich selbst zu überlassen. Die Tür zum Gästehaus war jedenfalls nicht versperrt, und Tom verschwand darin.
Toni zögerte immer noch. Vielleicht stand jemand im Hauptgebäude mit einer 9 -Millimeter-Browning Automatik im Anschlag hinter einem Fenster und wartete schon auf sie …?
Sie gab sich einen Ruck und sprintete los. Doch kaum geriet sie in den Tiefschnee, rutschte sie aus und fiel der Länge nach hin. Eine Sekunde lang lag sie da und wartete auf den Schuss. Aber der blieb aus; nichts rührte sich. Toni rappelte sich mühsam wieder auf. Sie spürte, wie die Kälte des Schnees durch Jeans und Pullover drang, ließ sich aber davon nicht beirren, sondern ging weiter, diesmal vorsichtiger und langsamer als zuvor. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Besorgt behielt sie das Hauptgebäude im Auge, konnte aber an keinem Fenster eine menschliche Gestalt erkennen.
Obwohl es kaum länger als eine Minute dauerte, den Hof zu überqueren, kam ihr jeder Schritt unendlich lang vor. Doch dann hatte sie es geschafft. Sie erreichte die Scheune, trat ein und zog das Tor hinter sich zu. Ich lebe noch, dachte sie und zitterte vor Erleichterung am ganzen Leib.
Eine kleine Lampe erhellte einen Billardtisch, ein paar alte Sofas, einen Fernseher mit Großbildschirm sowie zwei Feldbetten, die beide leer waren. Der Raum schien menschenleer zu sein, doch führte eine Leiter zu einer Art Heuboden. Toni brachte das Zittern unter Kontrolle und kletterte hinauf. Auf halbem Weg nach oben konnte sie den Heuboden bereits überblicken. Mehrere Paare kleiner roter Augen starrten ihr entgegen und erschreckten sie: Carolines Ratten. Sie kletterte ganz hinauf. Zwei weitere Lager waren hier eingerichtet. Die friedlich schlummernde Gestalt in dem einen
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