Eisfieber - Roman
halten, an seinen nackten Körper. Stanleys Gesicht sah aus, als wäre es von einem Lastwagen gerammt worden, aber er stand aufrecht und seine Miene verriet Wachsamkeit.
Miranda fühlte sich elend und hilflos. Sie konnte es kaum ertragen, einen so starken Charakter wie ihren Vater verwundet und gefesselt sehen zu müssen. Und Hugo war zwar ein Lump, aber so etwas hatte er kaum verdient: So, wie er aussah, war zu befürchten, dass er dauerhafte Schäden abbekommen hatte. Olga war eine Heldin: Sie ließ nichts unversucht, ihrem Ehemann beizustehen, obwohl sie erst seit kurzem wusste, dass er sie mit ihrer Schwester betrogen hatte.
Während Hugo, Stanley und Olga mit Geschirrtüchern geknebelt waren, hatte sich Daisy bei Miranda die Mühe erspart – vermutlich in der Annahme, nun, da die Polizei wieder fort war, sei es ohnehin sinnlos zu schreien. Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigte sich für Miranda, als sie erkannte, dass sie die anderen vielleicht von ihren Knebeln befreien konnte. »Beug dich zu mir runter, Daddy«, sagte sie, und folgsam neigte er sich über sie. Das Ende des Knebels hing aus seinem Mund, und sie hob den Kopf wie zum Kuss. Es gelang ihr, eine Ecke des Geschirrtuchs mit den Zähnen zu erwischen. Miranda zog, und ein Teil des Knebels fiel aus seinem Mund, doch dann entglitt ihr das Ende des Tuchs.
Sie fluchte leise, doch ihr Vater beugte sich wieder herunter und ermutigte sie zu einem weiteren Versuch. Diesmal kam der ganze Knebel heraus und fiel auf den Fußboden.
»Danke«, sagte Stanley. »Mein Gott, war das grässlich.«
Miranda wiederholte die Prozedur bei Olga, die sagte: »Mir war dauernd kotzübel, aber ich hatte Angst, wenn ich speie, ersticke ich noch daran.«
Sie befreite Hugo auf die gleiche Weise von seinem Knebel. »Versuch, wach zu bleiben, Hugo«, beschwor sie ihn. »Komm schon, halt die Augen offen!«
Stanley fragte Miranda: »Was geht da draußen vor?«
»Toni Gallo kam mit einem Schneepflug und ein paar Polizisten«, erklärte sie. »Kit hat die Tür geöffnet und so getan, als wäre alles in bester Ordnung. Die Polizisten sind dann wieder abgefahren, aber Toni hat darauf bestanden, zu bleiben.«
»Diese Frau ist unglaublich.«
»Ich hatte mich auf dem Dachboden versteckt und hab es noch geschafft, Toni zu warnen.«
»Gut gemacht!«
»Diese entsetzliche Daisy hat mich dann die Treppe hinuntergestoßen, aber Toni ist ihnen entkommen. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhält.«
»Sie kann die Polizei anrufen.«
Miranda schüttelte den Kopf. »Sie hat ihr Handy in ihrer Jackentasche gelassen, und Kit hat es gefunden.«
»Toni wird sich was anderes überlegen – sie ist eine bemerkenswert einfallsreiche Frau. Auf jeden Fall ist sie unsere einzige Hoffnung, denn sonst ist niemand mehr frei, abgesehen natürlich von Ned und den Kindern.«
»Ned wird uns, fürchte ich, keine große Hilfe sein«, sagte Miranda entmutigt. »In so einer Lage ist ein Shakespeare-Experte das Letzte, was man brauchen kann.« Sie musste wieder daran denken, wie schwächlich Ned am Vortag reagiert hatte, als sie von seiner Exfrau Jennifer praktisch aus dem Haus geworfen worden war. Nein, darauf, dass ein solcher Mann gegen drei Gewaltverbrecher etwas ausrichten konnte, durfte man sicher nicht hoffen.
Sie warf einen Blick zum Fenster hinaus. Die Morgendämmerung hatte eingesetzt, und es schneite nicht mehr, sodass sie das Gästehaus sehen konnte, in dem Ned schlief, und die Scheune, in der die Kinder übernachteten. In diesem Augenblick sah sie Elton über den Hof gehen und erschrak zutiefst. »O mein Gott!«, sagte sie. »Der geht zum Gästehaus.«
Ihr Vater folgte ihrem Blick. »Sie treiben uns alle zusammen und werden alle fesseln, bevor sie abhauen«, sagte er. »Wir können nicht zulassen, dass sie mit diesem Virus verschwinden – nur: Wie sollen wir sie daran hindern?«
Elton betrat das Gästehaus.
»Ich hoffe, Ned steht’s durch.« Plötzlich war Miranda froh, dass Ned kein kämpferischer Typ war. Elton war hart, brutal und bewaffnet. Neds einzige Chance bestand darin, sich widerstandslos zu ergeben.
»Ned hat noch Glück im Unglück«, sagte Stanley. »Dieser Kerl ist ein Gangster, aber kein Psychopath wie die Frau.«
»Sie macht Fehler, weil sie nicht richtig im Kopf ist«, bestätigte Miranda. »Vorhin im Flur hat sie, anstatt Toni außer Gefecht zu setzen, lieber auf mich eingedroschen. Nur deshalb konnte Toni entkommen.«
»Wieso war sie so wild darauf, dich zu
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