Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eisfieber - Roman

Titel: Eisfieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
königlich, dachte Toni, und ich fahre hier mit meiner Mutter durch den Schnee … Ach was, hör auf zu jammern! Du bist erwachsen, und Erwachsene haben eben ihre Pflichten. Wer weiß, wie lange Mutter noch lebt? Du solltest froh sein über jede Minute, die du sie noch hast …
    Wenn sie an Stanley dachte, fiel es ihr schwerer, auch die gute Seite zu sehen. Sie hatte sich ihm an diesem Vormittag so nahe gefühlt – und jetzt war die Kluft zwischen ihnen größer als der Grand Canyon. Hab ich ihn zu sehr gedrängt, fragte sie sich immer wieder. Kam das etwa so rüber, als ob ich von ihm verlangen würde, dass er sich zwischen mir und seiner Familie entscheidet? Vielleicht hätte er sich gar nicht zu einer Entscheidung gezwungen gesehen, wenn ich ein bisschen zurückhaltender gewesen wäre?
    Andererseits hatte sie sich ihm ja auch nicht direkt an den Hals geworfen, und wenn man als Frau einem Mann nicht ein bisschen Mut machte, brachte er den Mund vielleicht nie auf.
    Kein Grund zum Katzenjammer, dachte sie. Du hast ihn verloren, und das war’s dann eben.
    Vor ihnen schimmerten die Lichter einer Tankstelle durch die Nacht. »Musst du mal zur Toilette, Mutter?«, fragte sie.
    »Ja, bitte.«
    Toni bremste und stoppte vor einer Zapfsäule. Sie füllte den Tank auf und half ihrer Mutter dann hinaus. Während sie zahlte, verschwand Mutter in der Toilette. Als Toni zum Wagen zurückkehrte, klingelte ihr Handy. Der Kreml, schoss es ihr durch den Kopf. Schnell riss sie das Telefon ans Ohr. »Toni Gallo.«
    »Hier spricht Stanley Oxenford.«
    »Oh!« Das war eine Überraschung, mit der sie nicht im Entferntesten gerechnet hatte.
    »Ich hoffe, ich rufe nicht zu einem unpassenden Zeitpunkt an«, sagte er höflich.
    »Nein, nein, nein«, sagte sie schnell und glitt auf den Fahrersitz. »Ich dachte, der Anruf käme vielleicht aus dem Kreml, und fürchtete schon, es gebe dort Probleme.« Sie schloss die Tür.
    »Dort ist alles in Ordnung, soweit ich weiß«, sagte er. »Wie gefällt es Ihnen in Ihrem Wellness-Hotel?«
    »Ich bin woanders.« Sie erzählte ihm kurz, was geschehen war.
    »Das muss ja eine bittere Enttäuschung für Sie sein.«
    Ihr Herz schlug schneller – und das aus keinem sehr guten Grund. »Und Sie? Wie geht es Ihnen, ist alles in Ordnung?« Sie fragte sich, warum er sie angerufen hatte, und behielt dabei das hell erleuchtete Toilettenhäuschen im Auge. So, wie es aussah, ließ ihre Mutter sich Zeit.
    »Das Abendessen im Kreise der Familie endete mit einem großen Streit. Nicht, dass mir dergleichen völlig unbekannt wäre – Auseinandersetzungen kommen bei uns durchaus vor.«
    »Worum ging es denn?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    Und warum ruft er mich dann an, dachte Toni. Dass Stanley ohne jeden konkreten Anlass telefonierte, war äußerst ungewöhnlich für ihn. Normalerweise war er so konzentriert, dass man das Gefühl hatte, er habe eine Themenliste vor sich liegen, die er abarbeiten wolle.
    »Um es kurz zu machen: Kit hat uns allen enthüllt, dass Miranda mit Hugo geschlafen hat – mit dem Mann ihrer Schwester.«
    »Ach du meine Güte!« Toni sah sie alle vor sich: Kit, gut aussehend und voller Schadenfreude; die hübsche rundliche Miranda; Hugo, dieser Casanova im Westentaschenformat, und die formidable Olga. Das war schon eine heiße Geschichte – aber dass Stanley sie ihr erzählte, verwunderte Toni noch mehr. Wieder einmal behandelte er sie, als wären sie gute, intime Freunde. Andererseits misstraute sie diesem Eindruck. Wenn ich mir neue Hoffnungen mache, wird er sie wieder zerstören, dachte sie. Trotzdem wollte sie das Gespräch nicht beenden und fragte daher: »Was halten Sie davon?«
    »Nun ja, Hugo war schon immer ein Schlawiner. Nach zwanzig Jahren Ehe sollte Olga ihn eigentlich kennen. Sie fühlt sich gedemütigt und tobt jetzt natürlich – ich höre in diesem Augenblick, wie sie ihn anschreit –, aber ich glaube, sie wird ihm am Ende vergeben. Miranda hat mir den Hintergrund der Angelegenheit geschildert. Sie hatte kein längeres Verhältnis mit ihm. Ein einziges Mal hat sie mit ihm geschlafen, in einer depressiven Phase nach dem Scheitern ihrer Ehe, und seither schämt sie sich jeden Tag dafür. Ich denke, dass Olga ihr schließlich auch verzeihen wird. Wer mich mehr bekümmert, ist Kit.« Seine Stimme wurde traurig. »Ich habe mir immer einen mutigen, prinzipienfesten Sohn gewünscht, der zu einem aufrechten, ehrlichen Mann heranwächst und von aller Welt respektiert werden

Weitere Kostenlose Bücher