Eisfieber - Roman
kommt nur furchtbar langsam voran.«
»Ich möchte Sie morgen sehen. Wir haben beide unsere familiären Verpflichtungen – aber auch das Recht auf ein wenig Zeit für uns selbst.«
»Wir finden schon eine Möglichkeit.« Sie öffnete die Fahrertür. »Aber ich muss jetzt weiter – meiner Mutter wird allmählich kalt.«
»Bis dann«, sagte Stanley. »Rufen Sie mich an, sobald Sie wollen. Jede Zeit ist mir recht, jede.«
»Bis dann!« Toni schaltete das Handy ab und stieg wieder ein.
»Na, das ist aber ein strahlendes Lächeln«, sagte Mutter. »Du bist ja auf einmal bester Laune! Wer war denn das, der dich da angerufen hat – ein netter Mensch?«
»Ja«, sagte Toni. »Ein sehr netter Mensch.«
22.30 Uhr
Ungeduldig wartete Kit in seinem Zimmer darauf, dass sich die anderen Bewohner des Hauses endlich zur Ruhe begaben. Er musste sich so schnell wie möglich auf den Weg machen, doch wenn jemand hörte, wie er das Haus verließ, war alles verloren. Also zwang er sich dazu, auszuharren.
Er saß an dem alten Schreibtisch in der Rumpelkammer. Sein Laptop war noch immer am Netz, um die Batterien zu schonen: Er wurde im Lauf der Nacht noch gebraucht. Kits Handy steckte in seiner Tasche.
Er hatte noch drei Anrufe aus dem beziehungsweise in den Kreml manipulieren müssen. Zwei davon waren harmlose Privatgespräche für Werkschutzmitarbeiter, die er durchlassen konnte. Der dritte Anruf war ein Gespräch aus dem Kreml nach Steepfall. Kit vermutete, dass Steve Tremlett Stanley über die Probleme mit der Telefonanlage unterrichten wollte, nachdem er Toni Gallo nicht hatte erreichen können. Kit hatte eine vorgefertigte Ansage abgespielt, die dem Anrufer mitteilte, dass der Anschluss gestört sei.
Er wartete und lauschte nervös auf die Geräusche des Hauses. Er hörte, wie sich Olga und Hugo im Schlafzimmer nebenan stritten. Olga nahm ihren Mann mit einem Sperrfeuer an Fragen und Behauptungen unter Beschuss, worauf Hugo mit kriecherischer Unterwürfigkeit, flehentlichen Bitten, Überredungsversuchen, Spott und neuerlicher Unterwürfigkeit reagierte. Unten in der Küche klapperten Luke und Lori noch ungefähr eine halbe Stunde mit Kochtöpfen und Geschirr, dann machten sie sich auf den Weg in ihr anderthalb Kilometer entferntes Häuschen, und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Die Kinder waren in der Scheune, während Miranda und Ned sich vermutlich ins Gästehaus zurückgezogen hatten. Der Letzte, der zu Bett ging, war Stanley. Er war noch ins Arbeitszimmer gegangen, hatte die Tür hinter sich geschlossen und einen Anruf getätigt, was man an den anderen Anschlüssen im Haus daran erkennen konnte, dass das »Besetzt«-Lämpchen aufleuchtete. Als er fertig war, dauerte es nicht mehr lange, und Kit hörte ihn die Treppe heraufkommen und seine Schlafzimmertür schließen. Olga und Hugo begaben sich nacheinander ins Badezimmer; danach herrschte Ruhe bei ihnen – sie hatten sich entweder versöhnt oder waren einfach erschöpft. Von Nellie, der Hündin, war anzunehmen, dass sie in der Küche neben dem Herd lag, am wärmsten Fleck im ganzen Haus.
Weil es noch eine Weile dauern würde, bis alle eingeschlafen waren, blieb Kit noch eine Zeit lang auf seinem Zimmer. Er fühlte sich rehabilitiert durch den abendlichen Streit. Mirandas Fehltritt bewies, dass er nicht der einzige Sünder in der Familie war. Auch wenn sie ihm jetzt alle vorwarfen, ein Geheimnis verraten zu haben, hielt er es für richtig, reinen Tisch gemacht zu haben. Er sah nicht ein, dass seine Verfehlungen maßlos aufgeblasen wurden, während Mirandas diskret verschwiegen werden mussten. Sollen sie sich ruhig ärgern, dachte er. Ich fand es toll, wie Olga Hugo eine geschmiert hat … Meine große Schwester wird noch zur Preisboxerin, dachte er belustigt.
Er fragte sich, ob er sich jetzt davonmachen konnte. Er war bereit. Er hatte seinen unverkennbaren Siegelring abgestreift und seine schicke Armani-Uhr durch eine unauffällige Swatch ersetzt. Er trug Jeans und einen warmen schwarzen Pullover. Die Stiefel wollte er die Treppe hinuntertragen und erst unten anziehen.
Kit stand auf – und hörte im selben Augenblick unten die Hintertür klappen. Er fluchte. Es war zum Haareausraufen! Irgendjemand war hereingekommen – wahrscheinlich die Kinder, die den Kühlschrank plündern wollten. Kit wartete und hoffte, dass es nicht zu lange dauerte, bis die Tür erneut ins Schloss fiel. Doch davon konnte nicht die Rede sein – im
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