Eisige Naehe
Es war, als wüsste er, wohin wir fahren, auch wenn er mich gefragt hat, wo wir gerade sind.«
»Was wollte er?«
»Er hat mir die Kombination für das Tor durchgegeben«, antwortete sie etwas konfus und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Sie war nervös und machte keinen Hehl daraus. »Welches Tor?«
Als würde Santos allmählich aus einer Trance erwachen, sagte sie: »Er hat gesagt, wir sollen nach Mönkeberg fahren, und als ich ihm sagte, dass wir dahin unterwegs sind, erklärte er mir, wie wir das Tor zum Grundstück aufkriegen. Wir sollen aufpassen, mit wem wir in der nächsten Zeit sprechen, nein, eigentlich hat er gesagt, wir sollen vorsichtig sein.« »Das sind wir doch.« »Hoffentlich.
MITTWOCH, 11.55 UHR
Sie parkten auf der Straße vor dem gewaltigen Grundstück, hohe Tannen umschlossen die Villa, ein langer, gerader Weg führte direkt zu den Garagen, in die ein kleiner Fuhrpark passte. Ein hochherrschaftliches Anwesen, wie es sich nur ein sehr reicher Mensch leisten konnte. »Wie war die Kombination?«, fragte Henning. »Eins, neun, zwei, acht.«
Das Tor ging auf, sie fuhren hinein und hielten vor der breiten Garage. Sie gingen auf das Haus mit den heruntergelassenen Rollläden zu, wie bei Bruhns war die Haustür nur angelehnt.
Sie kamen in eine Diele und von dort in einen großen Vorraum, von dem aus eine Treppe in den ersten Stock führte.
Als Santos schnurstracks zur Treppe ging, fragte Henning: »Wollen wir uns nicht erst mal hier unten umschauen?«
»Der Anrufer hat gesagt, wir würden im ersten Stock das finden, wonach wir suchen.« »Hast du nicht erwähnt.«
»Entschuldigung, ich bin ziemlich durcheinander. Fällt dir was auf?«
»Meinst du die schwarzen Vorhänge? Ziemlich gruftig, oder was sagt man dazu?«
»Keine Ahnung, ist mir auch egal«, erwiderte sie ungehalten.
Im ersten Stock stand eine Tür halb offen. Santos betrat den Raum. Ihr stockte der Atem, und sie hielt sich die Hand vor den Mund, als müsste sie sich gleich übergeben.
Henning war am Eingang stehen geblieben. »Was ist das?«, stieß er entsetzt hervor und kam ein paar Schritte näher. Auf dem Marmorboden lag ein zusammengekrümmter Mann, dessen Oberkörper nur noch aus blutigem Fleisch und Hautfetzen bestand. Die Augen waren geweitet und starrten ins Leere. Ein tiefer Schnitt zog sich von einem Ohr zum anderen. Eine riesige Blutlache hatte sich um den Kopf gebildet, doch eine Menge Blut war in einem kleinen Abfluss, der sich etwa einen Meter vom Kopf des Toten entfernt befand, versickert. Rechts von ihm standen dreißig Stühle, davor ein dick-floriger weißer Flokatiteppich; erst jetzt registrierte Henning, dass das Licht brannte und alle drei Fenster vollständig abgedunkelt waren. Er kniff die Augen zusammen und sagte: »Ich gehe mal davon aus, dass das Klein ist.«
»Wer sonst? Aber warum hat man ihn so zugerichtet? Das sieht nicht gerade nach einem schnellen und schmerzlosen Tod aus«, bemerkte sie mit einer Portion Ironie, die verhinderte, dass das Bild, das sich ihr bot, sich zu sehr in ihrem Kopf einbrannte. Kühl und gelassen bleiben, dachte sie, ihr Magen hatte sich wieder beruhigt. »Der wurde lange gequält, bevor man ihm die Kehle durchgeschnitten hat. Er war noch nicht tot, nachdem man ihn gefoltert hat, sonst gäbe es nicht eine solche Blutlache, und wer weiß, wie viel dort abgeflossen ist«, meinte Henning und deutete auf den Abfluss. »Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten, als er noch gelebt hat, deshalb das viele Blut. Er ist förmlich ausgeblutet.« Ohne darauf einzugehen, sagte Santos: »Was haben er und Bruhns miteinander zu tun? Ein Spediteur und ein Musikproduzent. Der eine im Rampenlicht, der andere eher unauffällig, bis vor ein paar Stunden kannten wir nicht mal seinen Namen. Spedition Drexler, okay, die Aufschrift habe ich schon gesehen, aber Robert Klein sagt mir gar nichts. Dir?«
Henning schüttelte den Kopf. »Was hat er getan, dass man ihn so hat leiden lassen? Bei Bruhns Atropin und die seltsame Drapierung, hier brutalste Gewalt. Zwei völlig unterschiedliche Tötungsarten, und doch gibt es einen Zusammenhang. Aber welchen?«
»Ich weiß es auch nicht, aber wir haben einen Anrufer, der über alle drei Morde Bescheid weiß, also in irgendeiner Form involviert ist. Wo ist die Verbindung? Von Bruhns wissen wir, dass er pädophil war und sich gerne mit jungen Mädchen vergnügt hat. Von Klein wissen wir bis jetzt gar nichts, außer, dass er eine Spedition geleitet hat
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