Eisige Naehe
kann, und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass überhaupt nichts stimmt. Oder aber alles, was nicht weniger erschreckend wäre. So oder so bin ich der festen Überzeugung, dass Lisa und ich in ein Boot gezogen werden sollen, in das wir nicht einsteigen möchten.« Harms hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen, die Arme auf der Stuhllehne. Henning und Santos sahen sich an, nur die Geräusche, die durch das offene Fenster drangen, waren zu hören. Schließlich durchbrach Harms die Stille: »Habt ihr vor, Friedmann und Müller ...«
»Wo denkst du hin? Natürlich nicht, es sei denn, wir werden von ihnen angegriffen. Albertz hat noch etwas Interessantes gesagt, nämlich, dass Rüter ebenfalls zur Organisation gehört. Rüter und sein Vater, der ja bekanntlich im Bundestag sitzt. Was ist Wahrheit, was Lüge? Ich weiß es nicht.«
»Beschreibt mir diesen Albertz!« »Äußerlich?«
»Nein, was für einen Eindruck habt ihr von ihm? Wie hat er sich gegeben, habt ihr auf seine Körpersprache geachtet, wirkte er zu irgendeinem Zeitpunkt nervös oder unsicher?«
Santos dachte einen Moment nach. »Er war die Ruhe in Person. Von Nervosität keine Spur, er hatte sich die ganze Zeit vollständig unter Kontrolle. Nur als er von Sarah Schumann sprach, schien es, als würde er emotional, aber mittlerweile glaube ich, dass auch das nur gespielt war. Der Mann hat keine Gefühle ... Tja, und er hat gelogen, als wir uns mit ihm am Dienstag zum ersten Mal getroffen haben. Er spielte einen Todkranken, der angeblich Klarschiff machen wolle. Schließlich stellte sich heraus, dass er kerngesund ist, er habe uns nur auf die Probe stellen wollen. Ich spreche bewusst im Konjunktiv, weil ich mir bei ihm nicht sicher bin, dazu gibt es zu viele Ungereimtheiten in seinen Erzählungen, aber auch in seinem Verhalten. Er hat viele Insiderinformationen an uns weitergegeben, und ich frage mich, wie viel davon stimmt. Sören hat völlig recht, nichts von alledem passt. Das ist das eigentlich Beängstigende an der ganzen Sache. Wir wissen nicht, ob die Geschichte über Friedmann und Müller der Wahrheit entspricht, wir wissen nicht, ob Rüter in die Sache verwickelt ist ...«
»Ich habe eine simple Frage: Worum geht es überhaupt? Es hat mit dem Mord an Bruhns und der Steinbauer begonnen. Nur zwei Tage später wurde Weidrich als Täter identifiziert...«
»Ganz einfach.« Henning beugte sich vor. »Es hat nicht nur mit dem Mord an Bruhns und Steinbauer begonnen, sondern auch mit der ominösen DNA, die es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Schon am Montag wurden Jürgens und Tönnies massiv eingeschüchtert, so dass sie mit uns nicht mehr reden wollten, wobei Jürgens gestern übrigens doch noch mit Lisa gesprochen hat. Dann kamen die Morde an dem Spediteur Robert Klein und seinen beiden Bodyguards. Laut Albertz war Klein in Kinder- und Frauenhandel verstrickt. Die Kinder waren angeblich als Geschenke gedacht, weil viele Männer und auch manche Frauen ihre Triebe nur im Geheimen ausleben könnten ...«
»Wenn ich kurz unterbrechen darf.« Harms hob die Hand. »Inwiefern waren oder sind die Kinder als Geschenke gedacht? Oder habe ich da was überhört?« »Wenn ich Albertz richtig verstanden habe, geht es um große Geschäfte, und die Geschenke waren oder sind für gewisse Geschäftspartner gedacht, solche, die pädophil sind. So richtig kapiert haben Lisa und ich das auch nicht, vielleicht sind wir auch nur zu blöd dafür. Auf jeden Fall ist das die größte Sauerei ... Kinder! Kleine Kinder! Ich sage nur, alle, die sich an ihnen vergehen, breitbeinig übern Stacheldrahtzaun ziehen, dann können sie nie wieder Unheil anrichten.« »Nun, wenn ...«
»Aber letztlich geht es um einen Auftragskiller, der seit fünfundzwanzig Jahren rund um den Globus unliebsame Personen aus den höheren Kreisen beseitigt. Da schließt sich der Kreis, denn es soll laut Albertz nur einen Menschen geben, der diesen Killer persönlich kennt, und das ist eine gewisse Sarah Schumann aus Frankfurt, die sich gegenwärtig in Kiel aufhält.
Volker, wir haben nun eine ganz einfache Frage an dich: Was sollen wir tun?«
Harms sah Henning lange an. »Keine Ahnung.« Als hätte er Hennings Worte von vor einer Minute schon wieder vergessen - wahrscheinlich waren seine Gedanken längst wieder bei seiner Frau im Krankenhaus -, fragte er wie abwesend: »Kinder als Geschenke wofür?« »Habe ich doch eben schon zu erklären versucht. Aber gut, dann noch mal: Wenn es um
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