Eisige Naehe
nicht verkommen lassen. Hinzu kommt, dass ich keine Partygängerin bin und Bruhns auch nicht unbedingt der Umgang ist, den ich üblicherweise pflege, was in Ihren Ohren arrogant klingen mag, aber ich stehe dazu.« »Nachvollziehbar«, sagte Henning kurz und trocken, woraufhin ihn Sarah Schumann intensiv musterte, als versuchte sie, seine Gedanken zu ergründen. »Kennen Sie seine Frau?«, wollte Santos wissen. »Flüchtig, wir sind uns einmal auf einem Fest begegnet. Mein erster Eindruck von ihr war sehr positiv, und ich habe mich gefragt, wie das mit den beiden wohl funktioniert. Sie war jung, hübsch und wirkte sehr feinfühlig, während ich von ihm nach wie vor nur ein negatives Bild habe. Ich dachte darüber nach, wie lange diese Ehe halten mag.«
»Wann war das?«
»Vor anderthalb, zwei Jahren, genau kann ich mich nicht erinnern. Was hat das mit dem Tod von Herrn Bruhns zu tun?«
»Wir gehen davon aus, dass es sich um zwei Täter handelte, einer von ihnen wurde, wie ja überall nachzulesen war, im Zuge der Fahndung erschossen. Und wir sind nun auf der Suche nach seinem Komplizen. Wie gut kennen Sie Ihre Nachbarn?«
Sarah Schumann veränderte leicht ihre Haltung, ihr Blick war kritisch: »Ich habe kaum Kontakt zu ihnen. Wenn ich in Kiel bin, dann nur, um mich zu erholen, und das bedeutet in erster Linie, dass ich allein sein will. Frankfurt ist schon stressig genug. Wieso stellen Sie mir diese Frage? Glauben Sie, dass einer meiner Nachbarn etwas mit Bruhns' Tod zu tun haben könnte?«
»Ja und nein. Wir sind auf der Suche nach dem zweiten Mann ... Oder einer Frau.«
»Es tut mir leid, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, sagte sie immer noch freundlich, aber distanziert, und blickte auf die Uhr. »Zudem gibt es nur zwei Personen in meiner Nachbarschaft, die ich ein klein wenig näher kenne, das sind Herr Albertz und Frau Zimmermann, die mit ihren Töchtern ein paar Häuser weiter wohnt. Das ist auch schon alles.«
Santos und Henning bemühten sich, gelassen zu bleiben, pragmatisch und emotionslos, auch wenn es in ihren Köpfen rotierte. Ein Karussell, das sich immer schneller drehte.
»Wer ist Herr Albertz?«, fragte Santos beiläufig, ohne sich ihre Gedanken anmerken zu lassen. Dass Albertz in unmittelbarer Nachbarschaft von Sarah Schumann wohnte, damit hatten sie nicht gerechnet. »Wie meinen Sie das?«
»Na ja, wer ist er? Wir haben den Namen nicht auf unserer Liste. Wo wohnt er?«
»Bismarckallee, die Hausnummer weiß ich nicht, aber das dürfte für Sie ja nicht schwer herauszufinden sein, auf jeden Fall hinten am Kreisel. Wie soll ich ihn beschreiben? Er ist ein eher wortkarger, zurückhaltender Mann, ich würde ihn auf Ende fünfzig, Anfang sechzig schätzen. Er betreibt mehrere Galerien, unter anderem hier in Kiel. Viel mehr weiß ich nicht von ihm, ich habe ihn auch lange nicht gesehen. Außerdem«, sie blickte erneut demonstrativ zur Uhr, »wenn es weiter nichts gibt, die Zeit drängt. Ich will wirklich nicht unhöflich erscheinen, aber ...« »Danke, dass Sie sich überhaupt Zeit für uns genommen haben. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Kiel. Wie lange werden Sie bleiben?«
»Vielleicht eine Woche, vielleicht auch nur noch zwei oder drei Tage. Ich bin sehr spontan in meinen Entscheidungen. Es ist mir doch ein bisschen zu kalt hier.« Sarah Schumann begleitete die Beamten zur Tür, wo sie auf einmal sagte: »Wenn Sie zu Herrn Albertz gehen und ihn antreffen, erwähnen Sie bitte nicht meinen Namen. Die Menschen hier sind sehr um Diskretion bemüht ...«
»Das ist uns hinlänglich bekannt. Wir werden Ihren Namen nicht nennen.« »Danke.«
»Keine Ursache. Auf Wiedersehen. Und lassen Sie sich von dem miesen Wetter nicht die Laune verderben«, sagte Santos. »In Südfrankreich ist es jetzt auf jeden Fall schöner.«
»Ich weiß. Deshalb werde ich voraussichtlich bald ans Mittelmeer aufbrechen. Andererseits, warum sich über das Wetter aufregen, zum Glück haben wir noch Jahreszeiten, wer weiß, wie lange noch«, antwortete sie mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel und einem Aufflackern in den Augen, als hätte sie Henning und Santos von der ersten Sekunde an durchschaut. Die Lüge, mit der sie sich Zutritt zum Haus verschafft hatten, war zu transparent gewesen.
Im Auto fragte Henning, während er sich anschnallte: »Und, zufrieden?«
»Ja und nein. Was hältst du von ihr?« »Was soll ich von ihr halten?« »Gefällt sie dir?« »Lisa, die Frau ist sechzig
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