Eisige Naehe
übereinstimmt, was wir bis jetzt wissen, werden Sie nie wieder ein Statement von mir oder einem meiner Kollegen bekommen. Haben wir uns verstanden?«
»Natürlich, war ja deutlich genug. Schönen Tag noch.« Als sie wieder im Auto saßen, atmeten Henning und Santos durch und fuhren langsam aus dem Ort heraus. »Deine erste Einschätzung?«, fragte er auf dem Weg nach Kiel, wo Bruhns mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter lebte.
»Keine. Ich glaube, ich werde dieses Bild nie vergessen. Das ist so abartig. Wenn ich mir vorstelle, der Typ hätte erst die Presse informiert, und die hätten Fotos vom Tatort gemacht und ... Nee, ich darf mir das nicht ausmalen. Wer tut so was und warum?«
»Lisa, das war kein Mord aus niederen Beweggründen oder so. Da steckt mehr dahinter.«
»Inwiefern?«
»Ach komm, das hast du doch auch gesehen.« »Was habe ich gesehen?«
»Das Gesamtbild. Ich weiß auch nicht, wie ich es besser ausdrücken soll, aber die ganze Mühe, die der Täter investiert hat, das geht über Hass oder Rache oder Eifersucht weit hinaus. Allein, wie er sie positioniert hat. Warum? Warum hat sie nicht auf dem Boden gelegen, wie es doch nach einem Kopfschuss normal gewesen wäre? Und warum hat Bruhns noch über den Tod hinaus gegrinst, während diese Kerstin aussieht, als würde sie unter schrecklichen Schmerzen leiden? Warum war sie schon nackt, während er bekleidet war? Es gibt bis jetzt lauter Fragen und keine einzige Antwort.« »Ich habe auch keine, falls du eine erwarten solltest. Dazu kommt noch unser mysteriöser Anrufer. Mich würde zu sehr interessieren, welche Rolle er spielt. Mörder, Mittäter, Mitwisser oder nur Informant. Wenn er das nächste Mal anruft, stell ich auf laut, vielleicht hörst du ja mehr aus seiner Stimme als ich.«
»Glaub ich kaum. Warten wir ab, was die Spusi und Jürgens zu sagen haben. Wir stehen noch ganz am Anfang. Aber zuallererst bringen wir das mit Frau Bruhns über die Bühne. Es ist doch jedes Mal ein Scheißgefühl, wenn du nicht genau weißt, was du sagen sollst, weil du nie voraussagen kannst, wie die Reaktion ausfällt.«
TAG, 14.50 UHR
Sie hielten vor Bruhns' Villa. Wie in Schönberg auch hier eine Eibenhecke, doch diese schien noch undurchdringlicher. Mit einer Höhe von dreieinhalb Metern umrahmte sie das gesamte Grundstück, dazu kam ein breites, etwa vier Meter hohes massives Eisentor, durch das man nur schwer einen Blick auf das riesige Gelände werfen konnte. Ein leicht geschwungener Kiesweg führte zum Haus und den Garagen, ein Bild, wie man es sonst nur aus dem Fernsehen bei hochherrschaftlichen Anwesen kennt. Jetzt im ausklingenden Winter sah der parkähnliche Garten zwar an etlichen Stellen grün, aber nicht spektakulär aus, doch Lisa konnte sich den Anblick vorstellen, wenn die Büsche und Sträucher geschnitten waren, die Blumenpracht blühte und der Rasen in saftigem Grün stand. Das Haus war in einem hellen Gelb gestrichen, zwei Stockwerke, ein hohes Dach mit ein paar kleinen Fenstern zwischen den roten Ziegeln, eine überdimensionale Eingangstür aus schwerem, dunklem Holz. Allein der Unterhalt musste jährlich ein Vermögen verschlingen, mehr, als Henning und Santos sich von ihrem Gehalt jemals hätten leisten können. Es war mit Sicherheit eines der größten und teuersten Häuser im ohnehin teuersten Viertel der Stadt. »Das ist kein Haus, das ist eine Festung«, flüsterte Santos und drückte auf den grauen Knopf neben den Initialen P. B. und wartete. »Komisch, dass mir das noch nie aufgefallen ist, obwohl wir schon so oft in der Gegend zu tun hatten und ... Ich habe das Haus jedenfalls noch nie bewusst wahrgenommen.« Nach einer Weile klang eine klare weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Frau Bruhns?«, fragte Lisa.
»Ja? Mein Mann ist nicht da, ich weiß auch nicht, wann er wiederkommt.«
Lisa hielt ihren Ausweis vor die Kamera und fuhr fort: »Mein Name ist Santos von der Kripo Kiel, mein Kollege und ich müssten uns kurz mit Ihnen unterhalten. Dürfen wir reinkommen?«
»Einen Moment bitte, ich komme«, murmelte Victoria Bruhns, trat wenig später aus der Haustür und kam die etwa dreißig Meter zum Tor, um sich zu vergewissern, dass es sich nicht doch um Journalisten oder aufdringliche Fans handelte, die sich wieder etwas Neues hatten einfallen lassen, um Bruhns kennenzulernen. Victoria Bruhns war klein, kaum eins sechzig und damit gut einen halben Kopf kleiner als ihr Mann, sie hatte schulterlange dunkelblonde Haare
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