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Eisige Naehe

Eisige Naehe

Titel: Eisige Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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und braune Augen. Sie war sehr schlank und zierlich, und sie war, das wusste Lisa aus den Medien, erst vor kurzem fünfundzwanzig geworden und seit drei Jahren mit Bruhns verheiratet. Sie hatten eine gemeinsame Tochter von etwa einem Jahr. Victoria sei seine ganz große Liebe gewesen, die er für nichts in der Welt aufgegeben hätte, auch habe er seinen Lebenswandel geändert und sei endlich sesshaft geworden, hatte Bruhns erst kürzlich in einem TV-Interview vor einem Millionenpublikum erklärt. Doch das, was Henning und Santos in Schönberg vorgefunden hatten, sprach eine andere Sprache. Bruhns hatte sich nicht geändert, einer wie er würde sich niemals ändern, würde nie etwas für eine Frau aufgeben, auch wenn er betonte, sie noch so sehr zu lieben. Niemals hätte Bruhns irgendetwas für irgendjemanden aufgegeben, weder für die größte Liebe seines Lebens noch für den besten Freund, wobei Lisa beinahe sicher war, dass Bruhns keinen einzigen echten Freund hatte, viele sogenannte Freunde schon, die sich in seinem Ruhm sonnten, mehr aber auch nicht. Bruhns war ein Mann, der das Spiel der Freunde beherrschte, ein Spiel, in dem Freundschaft nur ein Wort war und Freunde ganz schnell zu erbitterten Feinden werden konnten.
    »Sie sind tatsächlich von der Polizei?«, fragte Victoria Bruhns mit misstrauischem Blick durch das noch geschlossene Tor, doch ihre weiche, samtene Stimme klang nicht unfreundlich. Noch einmal hielt Santos ihren Ausweis hoch, Victoria warf einen langen Blick darauf und nickte. Sie schien nicht sonderlich besorgt zu sein, dass die Polizei vor dem Tor stand, was mehrere Gründe haben konnte, vielleicht hatte sie schon öfter mit der Polizei zu tun gehabt, wahrscheinlich sogar, wenn es stimmte, dass fast täglich aufdringliche Fans das Haus belagerten.
    »Dürfen wir bitte reinkommen? Wir müssten etwas mit Ihnen besprechen.«
    »Geht es um meinen Mann?« Als sie diese Frage stellte, war in ihrem Gesicht zum ersten Mal ein Hauch von Besorgnis, möglicherweise sogar Angst zu erkennen. »Lassen Sie uns im Haus darüber reden, hier draußen ist es doch recht frisch.«
    »Entschuldigen Sie, natürlich.« Victoria Bruhns öffnete das Tor mit einem Knopfdruck und ging vor den Beamten zum Haus, während sich das Tor wie von Geisterhand hinter ihnen wieder schloss. Der weiße Kies knirschte unter ihren Schuhen. Sie traten sich die Füße am Eingang ab und betraten eine gewaltige Vorhalle, von der mehrere Türen abgingen und Treppen sich zu beiden Seiten in einem Halbrund in den ersten Stock erstreckten. Massive Holzgeländer, Marmorboden in der Eingangshalle, mehrere übermannshohe Pflanzen, ein Springbrunnen in der Mitte, umrahmt von goldenen Fliesen, eine Vorhalle wie in einem Göttertempel, eine andere Bezeichnung fiel Henning angesichts der gewaltigen Dimensionen und der prunkvollen Ausstattung nicht ein. Bruhns war ein Halbgott gewesen, der sich alles hatte leisten können, was mit Geld zu kaufen war, aber irgendjemand hatte etwas dagegen gehabt, dass Bruhns sich weiterhin wie ein solcher aufführte. Das eigentlich Schlimme war, dass eine Achtzehnjährige mit Bruhns ermordet worden war. Eine junge Frau, die er vielleicht erst kurz vor der Tat kennengelernt hatte. Eine junge Frau, die vielleicht auf eine große Karriere gehofft hatte, die Träume und Wünsche gehabt hatte und stattdessen von einer Kugel getötet worden war. Kerstin Steinbauer aus Düsseldorf, deren Angehörige noch informiert werden mussten und die nicht begreifen würden, warum es ausgerechnet ihre Tochter, Schwester, Nichte, Enkelin getroffen hatte. Familie und Freunde würden trauern und die Sinnlosigkeit ihres Todes beklagen und beweinen.
    Bruhns' Tod hingegen berührte Henning weit weniger. Der Mann war kein angenehmer Zeitgenosse gewesen, kaum ein Tag war vergangen, an dem nicht über ihn berichtet worden war. Er hatte sich ein Millionenheer an Bewunderern geschaffen, aber auch zahllose Neider und Feinde. Am Ende seines Lebens stand ein inszenierter Mord, ein kaltblütiger und hinterhältig ausgeführter Mord. Was hatte Bruhns getan, dass der Mörder ihn nach seinem Tod der Lächerlichkeit preisgab und ihn wie eine Karikatur darstellte? Und warum auch Kerstin Steinbauer, die ihr Leben noch vor sich gehabt hatte? War sie nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen? Oder hatte sie zu einem perfide ausgeklügelten Plan gehört?
    Henning konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung, die für eine Welt stand, zu der er sonst

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