Eisige Naehe
kehrte zurück und blieb vor den Beamten stehen. Als das Kind zu weinen begann, ging sie wieder zu ihm, hob es hoch und redete beruhigend auf es ein. Dann wandte sie sich den Beamten zu. Ihre Gesichtszüge blieben entspannt, als sie sagte: »Es verging doch kaum ein Tag, an dem er keine Drohungen erhielt. Oder was glauben Sie, warum dieses Haus und das Grundstück wie eine Festung ausgestattet sind? Alles hat seinen Grund, auch dieses riesige Gefängnis hier, aus dem ich kaum noch rauskomme.«
Ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen, antwortete Santos: »Wir wissen noch nicht genau, was sich abgespielt hat, aber wie es aussieht, wurde Ihr Mann Opfer eines Gewaltverbrechens. Wie gesagt, es tut mir leid«, betonte Santos noch einmal, und sie meinte es ernst, als sie die junge Frau betrachtete, die so gefasst und ruhig wirkte und schon auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck gemacht hatte.
»War er allein?«, fragte Victoria Bruhns, und es war, als kannte sie die Antwort längst. »Nein, es war jemand bei ihm«, antwortete Santos. Victoria Bruhns verzog den Mund und nickte. »Ich nehme an, eine attraktive junge Frau. Sie brauchen mich nicht mit Samthandschuhen anzufassen, denn, wie ich schon sagte, ich habe mit einer solchen Nachricht gerechnet. Peter hat sein eigenes Leben geführt, in das er niemanden gelassen hat, nicht einmal mich. Er hat zwar immer wieder betont, dass er mit mir die große Liebe gefunden habe, aber ich habe es schon lange nicht mehr geglaubt, zu oft hat er mich belogen und betrogen. Es tut mir leid, wenn ich so über ihn rede, aber das ist die Wahrheit, und ich bin bekannt dafür, mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg zu halten. Seit Paulines Geburt hat er sich kaum noch hier blicken lassen, das alles war zu viel für ihn, eine Frau, ein Kind, das seine Aufmerksamkeit fordert, der Verlust seiner Freiheit, dabei habe ich ihm nie irgendwelche Vorwürfe gemacht, wenn er mal wieder ein paar Tage weggeblieben war, ohne sich zu melden. Ich wusste manchmal tagelang nicht, wo er sich gerade aufhielt, weil er nicht einmal an sein Handy gegangen ist. Irgendwann habe ich mich damit abgefunden und gar nicht mehr versucht, ihn zu erreichen.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn.
Pauline hatte sich mehrfach über die Augen gerieben und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen. Victoria Bruhns trug sie nun vorsichtig zur Spielecke und legte sie auf die Decke, wartete noch einen Moment und kam zurück. »Wir sind schon lange kein Paar mehr gewesen, höchstens für die Medien, alles gehörte zur Show, sein ganzes Leben war eine einzige große Show. Nachdem Pauline geboren war, war er noch seltener hier als zuvor. Dann seine ständigen Affären, die Meldungen in der Presse oder im Fernsehen, wenn er mal wieder mit einer anderen Frau oder besser einem Mädchen angetroffen worden war, glauben Sie mir, all das ist nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich dachte mir, besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich habe mit ihm sogar schon über Scheidung gesprochen, weil ich das nicht mehr ausgehalten habe. Erst vor ein paar Tagen habe ich ihm gesagt, dass ich ausziehen werde.« Sie seufzte auf, nahm wieder Platz und schlug die Beine übereinander. Ein paar Tränen lösten sich und liefen ihr über die Wangen. Sie wischte sie mit dem Handrücken ab und blickte zu Boden.
»Wie hat er darauf reagiert?«
»Wie er reagiert hat?«, fragte sie nach, als wäre sie mit einem Mal weit weg, ihr Blick ging durch die Beamten hindurch, ihre Hände krallten sich in die Sessellehnen. »Wollen Sie das wirklich wissen?« »Ja.«
Sie wandte den Blick zur Seite und antwortete: »Er hat gelacht und gemeint, das würde ich im Leben nicht wagen, und falls doch, so würde ich das bitter bereuen. Er hat gedroht, dass ich Pauline nie wiedersehen würde, er hätte das Geld und die Macht, sie mir wegzunehmen. Wie er mich dabei angesehen hat, glauben Sie mir, für einen Moment fürchtete ich, er könnte mir etwas antun. Es war das erste Mal, dass ich richtig Angst vor ihm hatte.«
»Damit ich das richtig verstehe: Er hat sich um seine Tochter nicht gekümmert, aber wenn Sie gegangen wären, hätte er sie Ihnen weggenommen?« »Sie kennen Peter nicht, der ist zu allem fähig, nun, er war zu allem fähig. Er konnte nicht lieben, aber er konnte die Gemeinheit in Person sein. Ich wäre nicht die Erste gewesen, die er zerstört hätte. Es wäre ihm weiß Gott nicht um Pauline gegangen, sondern allein
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