Eisige Naehe
darum, mich zu erniedrigen und zu zerstören. Es tut mir leid, dass er nur neunundvierzig Jahre alt geworden ist, aber letztlich wird er sich das selbst zuzuschreiben haben, denn er hat vielen Menschen sehr weh getan.«
»Hätten Sie Ihre Drohung wahr gemacht?«, wollte Santos wissen.
»Ja, ganz sicher sogar«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich hätte einen Weg gefunden, ihn zu verlassen - mit Pauline. Sie war ihm doch vollkommen gleichgültig, er hätte ein Kindermädchen engagiert und sie irgendwann auf ein Internat geschickt, damit sie ihm nicht im Weg wäre. Er hatte ja auch zu seinen fünf Kindern aus den früheren Beziehungen schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Er hat zwar den Unterhalt bezahlt, das war's aber auch schon. Und wenn er hier war, hat er sich auch nicht um Pauline gekümmert. Ich kann mich nicht erinnern, wann er sie zuletzt auf den Arm genommen hat. Das mag verbittert klingen, aber es stimmt: Wir beide bedeuteten ihm nichts. Ihm ging es immer nur ums Besitzen.« »Und wie hätten Sie es geschafft, von hier wegzukommen, wenn ich fragen darf?«
Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf Victoria Bruhns' Lippen ab: »Sagen wir es so, ich habe einiges, womit ich ihn unter Druck hätte setzen können. Aber das ist jetzt nicht mehr relevant.«
»Und was?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen, aber glauben Sie mir, es hätte seinem Renommee sehr geschadet.« »Wusste er davon?«
»Nein, und er hat auch bestimmt nicht damit gerechnet, dass ein Dummchen wie ich fähig wäre ... Nun, das ist ja jetzt hinfällig. Aber glauben Sie mir, ich wäre niemals dazu in der Lage gewesen, ihn umzubringen, das schwöre ich Ihnen, denn Sie denken bestimmt, dass ...« »Nein, so weit sind wir noch nicht ...« »Wo waren Sie gestern Abend gegen Mitternacht?«, wurde Santos von Henning unterbrochen, den die Ehegeschichte von Victoria Bruhns im Moment nicht sonderlich interessierte. Er musterte die hübsche junge Frau mit dem ausdrucksstarken Gesicht, in dem das Hervorstechendste die großen braunen Augen und die vollen, sanft geschwungenen Lippen waren. Lisa und sie haben etwas gemeinsam, dieses Feurige, das keinen Mann kaltlässt, dachte er. Aber dieses Arschloch Bruhns hat das nicht zu schätzen gewusst.
»Auf diese Frage habe ich schon gewartet. Ich war hier, wo auch sonst? Es gibt sogar eine Zeugin, meine Schwester. Wir haben bis gegen eins telefoniert, was Sie ja leicht nachprüfen können ...« »Wo wohnt Ihre Schwester?«
»Nicht weit von hier, in Eckernförde. Sie ist meine Bezugsperson und mein großer Halt. Aber ich möchte doch eins klarstellen: Ich habe meinen Mann nicht gehasst, ich habe nur erkannt, dass er nicht der war, als den ich ihn kennengelernt habe. Also warum hätte ich ihn umbringen sollen?«
»Gründe genug haben Sie uns ja schon genannt. Wir werden Ihr Alibi überprüfen, und wenn Sie uns die Wahrheit gesagt haben, haben Sie nichts zu befürchten. Wer erbt denn das Vermögen?«
Victoria Bruhns zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Bei einer Scheidung hätte ich fünf Millionen bekommen, dafür musste ich mich verpflichten, nie in der Öffentlichkeit über unsere Ehe zu sprechen. Er wollte das so wegen schlechter Erfahrungen mit seinen ersten drei Frauen. Ich habe keine Ahnung, was mit alldem hier passiert. Das ist aber auch unwichtig, zumindest jetzt. Ich weiß nicht einmal, ob er ein Testament verfasst hat.«
»Sie haben von vielen Feinden und Drohungen gesprochen. Gab es in letzter Zeit irgendetwas Besonderes in dieser Hinsicht? Hat Ihr Mann alle Drohungen ernst genommen?«
»Nein, weder das eine noch das andere. Er glaubte wohl, unverwundbar zu sein. Ich habe versucht, mit ihm darüber zu sprechen, aber er hat von mir nichts angenommen, schon gar keine Ratschläge, ich bin ja auch nur eine kleine dumme Frau. Es stimmt schon, ich hätte seine Tochter sein können, und so kam ich mir manchmal auch vor, weil er es mich oft genug hat spüren lassen. Er hat mich behandelt wie ein kleines naives Mädchen.« Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Ich weiß selbst, dass ich eine dumme Kuh bin, und Sie werden wahrscheinlich denken, ich hätte Peter nur wegen seines Geldes geheiratet, aber das stimmt nicht, ich hatte mich wirklich in ihn verliebt. Er konnte unglaublich charmant sein, zumindest am Anfang. Als er mich dann besaß, zeigte er sein wahres Gesicht.«
»Nein, wir halten Sie nicht für naiv oder dumm. Aber Sie klingen nicht sonderlich traurig.« Gespannt beobachtete
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