Eisige Naehe
Er hat sein Leben geführt, ich meines. Noch vor drei Jahren, als er mit dieser Show angefangen hat, habe ich mich jeden Samstag darauf gefreut, aber es ist eben nur Show, sogar eine ziemlich billige. Ich habe mich entschieden, meine Zeit sinnvoller zu gestalten.«
»Ich kenne die Show auch nicht«, sagte Santos. »Sie haben nichts verpasst, glauben Sie mir.« »Und wie lange dauert die Sendung in der Regel?«, fragte Santos, die Hinrichsens Aussage von Victoria Bruhns bestätigt haben wollte. Doch die schüttelte den Kopf. »Nicht einmal das kann ich Ihnen beantworten, ich müsste in der Zeitung nachsehen. Am besten wäre es, wenn Sie sich im Sender erkundigen würden.« »Das machen wir. Nach der Show ist er dann offenbar direkt nach Schönberg gefahren, was bedeutet, dass ...« »Nein, nein, das Auto hat er in der Regel nur hier in Kiel und der direkten Umgebung benutzt. Für alles, was weiter als fünfzig oder sechzig Kilometer war, hat er den Helikopter oder den Learjet genommen. Er hasste es, Zeit zu vergeuden, und er liebte es, anzugeben.« »Hat er die Maschinen selbst geflogen?« »Er hat zwar einen Pilotenschein, aber er hat für beide Maschinen auch einen Piloten.«
»Hat er Ihnen gesagt, was er gestern nach der Show vorhatte?«
»Nein. Über so was hat er mit mir schon lange nicht mehr gesprochen. Ich habe ihn auch nicht gefragt. Er kam und ging, wie er wollte.«
»Und das Personal? Sie haben doch sicher Personal, oder?«
»Natürlich beschäftigen wir Personal, aber aus denen werden Sie nichts rauskriegen, die schweigen wie ein Grab, jeder von ihnen musste eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, die auch nach einer möglichen Entlassung gültig bleibt. Peter ist da knallhart. Außerdem weiß keiner von denen, was zwischen ihm und mir wirklich abgelaufen ist. Die wesentlichen Dinge spielten sich immer hinter verschlossenen Türen ab. Glauben Sie mir, es ...« Sie stockte, ihr Blick ging ins Leere. »Nein, ich möchte nicht darüber sprechen, nicht jetzt. Ein andermal vielleicht, jetzt ist nicht der passende Zeitpunkt. Außerdem hat es nichts mit dem Tod meines Mannes zu tun.« »Das klingt nicht schön«, bemerkte Santos. »Aber die Verschwiegenheitserklärung, von der Sie eben gesprochen haben, hat mit dem Tod Ihres Mannes ihre Gültigkeit verloren. Wenn es sein muss, laden wir jeden Einzelnen aufs Präsidium vor. Wir müssen wissen, wie Ihr Mann privat war, nicht nur Ihnen gegenüber, sondern auch gegenüber den Menschen, die ihn umgaben. Dazu zählt nun mal das Personal.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Was werden Sie jetzt tun?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, im Moment weiß ich überhaupt nichts.«
»Hätten Sie wenigstens ein paar Namen von Personen, die besonders schlecht auf Ihren Mann zu sprechen waren?«
»Ja, da gibt es einige. Ich schreib Ihnen die wichtigsten auf.«
Kurz darauf überreichte sie Santos einen Zettel, auf dem sieben Namen vermerkt waren. Santos überflog die Namen und nickte, weil sie jeden davon kannte. Nicht persönlich, aber sie hatte von ihnen gehört und gelesen und mindestens zwei von ihnen schon häufig im Fernsehen gesehen.
»Sollte Ihnen noch etwas einfallen, rufen Sie mich bitte an«, sagte Santos und reichte Victoria Bruhns ihre Karte. »Tag und Nacht.«
»Natürlich. Bitte glauben Sie mir, ich habe mit dem Tod meines Mannes nichts zu tun.«
»Wir werden Ihre Angaben überprüfen und uns wieder bei Ihnen melden. Passen Sie gut auf sich auf.« »Was soll mir in diesem Hochsicherheitstrakt schon passieren?«
Victoria Bruhns begleitete die Beamten bis zum Tor, sah ihnen nach, wie sie ins Auto stiegen, blieb noch einen Moment stehen und rannte, nachdem Henning und Santos losgefahren waren, zurück ins Haus. Im Wohnzimmer lehnte sie sich gegen die Tür, ihr Herz schlug wie wild, und mit einem Mal brachen die Tränen aus ihr hervor, als brächen Dämme. Sie sank zu Boden und weinte wie niemals zuvor. Sie wusste nicht einmal, warum sie weinte.
SONNTAG, 16.35 UHR
Kaum dass sie ihr Büro betreten hatten, wurden Henning und Santos von Volker Harms und Oberstaatsanwalt Rüter empfangen, als hätten sie auf das unschlagbare Duo, wie sie von manchen Kollegen augenzwinkernd genannt wurden, nur gewartet.
»Welch hoher Besuch!« Diese Bemerkung konnte sich Henning nicht verkneifen, gab es doch kaum jemanden, dem er so wenig Sympathie entgegenbrachte wie Rüter, der vor zwei Jahren Oberstaatsanwalt
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