Eisige Schatten
Raserei, wenn er das nächste umbringt. Und wenn er diese gewalttätigen Ausbrüche braucht?«
»Ich weiß es nicht. Aber es beunruhigt mich. Ich würde ja sagen, er hat versucht, einige der Morde zu vertuschen, aber die Münzen am Tatort zurückzulassen ist so gut wie eine Unterschrift, und das muss ihm klar sein.«
Matt hatte ihnen tonlos mitgeteilt, dass der Mörder seine übliche Münze nach dem Mord an Deanna Ramsay hinterlassen hatte. Einen Penny, zwischen die ausgestochenen Augen auf ihre Stirn gelegt.
Cassie rieb sich gereizt ihre eigene Stirn, während sie über die verrückte Logik eines Wahnsinnigen nachdachte, und Ben verspürte einen kleinen Kälteschauer, als er sich eine Münze vorstellte, die kalt auf Cassies Haut lag.
Er mochte sie nicht aus den Augen lassen. Nicht nur, weil der Mörder jetzt wusste, wer sie war, sondern auch, weil Cassie wild entschlossen zu sein schien, wieder Kontakt mit dem Schweinehund aufzunehmen, und viel zu bereit war, das auch ohne Rettungsleine zu tun.
Zumindest ohne ihn als Rettungsleine. Er befürchtete, dass dem so war. Cassie hatte sich so total von ihm zurückgezogen, dass sie keine Art von Kontakt mit ihm akzeptieren würde, selbst um ihr Leben zu retten. Falls er ihr Leben retten konnte.
»Irgendwas entgeht mir«, sagte sie fast wie zu sich selbst. »Irgendwas … ich weiß einfach nicht, was es ist.«
»Sosehr mir auch die bloße Möglichkeit widerstrebt, hast du in Betracht gezogen, dass es zwei Mörder sein könnten?«
Cassie nickte sofort. »Klar. Aber ich bin mir absolut sicher, dass diese Frauen von ein und demselben Mann umgebracht wurden, alle.«
Ben wusste, dass Matt zu dem gleichen Schluss gekommen war aufgrund der wenigen forensischen Beweise, die sie bisher hatten finden können, zusätzlich zu den Münzen und der identischen Art, wie die ersten drei Opfer in Positur gesetzt worden waren. Und am letzten Tatort hatten sie einen blutigen Fußabdruck gefunden, von dem Matt sicher war, dass er mit denen in Ivy Jamesons Küche gefundenen übereinstimmte. Für Matt deuteten diese Fakten auf einen einzigen Mörder.
»Ich möchte nur wissen, was mich so beunruhigt«, murmelte Cassie.
»Du bist immer noch müde«, sagte Ben.
»Ich habe mehr als zwölf Stunden geschlafen.«
»Vielleicht war das nicht genug.«
Cassies Lächeln war schwach und flüchtig. »Es ist nie genug. Mir geht’s gut, Ben. Ich habe dir gesagt, ich würde nicht zusammenbrechen, und das werde ich auch nicht. Ich bin stärker, als es scheint.«
»Ich mache mir nur …«
»Ich weiß. Du machst dir Sorgen um mich. Lass es sein.«
Leichthin sagte er: »Für jemanden mit Schutzmauern verberge ich manche Dinge nicht sonderlich gut.«
Cassie ging nicht darauf ein, starrte nur in ihren Kaffee.
War er zu wachsam, zu beschützend? Ben wusste es nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er den fast überwältigenden Drang, eine Frau zu beschützen. Er vermutete, dass er es weder verbarg noch gut damit umging.
Vor allem angesichts Cassies reizbarer und unabhängiger Natur.
Er hatte sich an diesem Morgen vorgenommen, sich zurückzuziehen und ihr die Zeit und den Freiraum zu geben, den sie offensichtlich brauchte, war sich aber bewusst, während er sie jetzt betrachtete, wie die Minuten verstrichen. Irgendetwas sagte ihm, dass es zwar vernünftig erschien, sich zurückzuziehen und ihr Zeit zu geben, aber nicht das Richtige war, denn Zeit war etwas, das sie einfach nicht hatten.
»Wir hatten nie eine Chance, nicht wahr?«, hörte er sich sagen.
Sie blickte ihn an, berührte ihn mit diesen Augen wie mit einer warmen Hand, und die Skepsis, die er darin sah, tat ihm weh. Sie fragte nicht, aber ihre Brauen hoben sich zu einer fast gleichgültigen Frage.
»Wir hatten nie die Chance … ganz gewöhnliche Menschen zu sein. Zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen. Wir können uns anscheinend nicht mal über gewöhnliche Dinge unterhalten. Wir reden nur über Mörder.«
Cassie zeigte ein kleines, trauriges Lächeln, und er hätte sie so gern in die Arme genommen. »Ich habe versucht, dich zu warnen«, sagte sie.
»Cassie …«
Sie schüttelte den Kopf. »Es spielt keine Rolle.«
»Für mich schon.«
»Den Mörder zu fassen spielt für dich eine Rolle, Ben.« Ihre Stimme klang plötzlich fern. »Deine Stadt wieder sicher zu machen spielt für dich eine Rolle. Und vielleicht … vielleicht spiele ich für dich eine Rolle.«
»Da gibt es kein Vielleicht« ,sagte er
Weitere Kostenlose Bücher