Eisige Schatten
flüchtigen Blick zu Ben fügte sie hinzu: »Und mir eine Chance zu geben. Vielleicht kann ich helfen. Vielleicht gelingt es mir nicht. Aber ich werde es versuchen, wenn Sie wollen.«
»Können Sie diesen Kerl direkt erreichen? Sie sagten, dazu bräuchten Sie eine Verbindung, die offenbar bereits existiert.«
»Wenn er vor mir sitzen würde, könnte ich es wahrscheinlich. Aber zu versuchen, ihn über eine Entfernung zu erreichen und seinen Geist anzuzapfen, wenn ich nicht weiß, wer oder wo er ist … fällt mir schwer. Ich brauche etwas von ihm, etwas, das er berührt hat. Etwas, das ich körperlich berühren kann.«
»Wie wär’s mit … etwas, das Becky getragen hat? Er hat sie berührt.«
Ben meinte, Furcht in Cassies Gesicht wahrzunehmen. Aber ihre Stimme blieb ruhig.
»Wir haben herausgefunden, dass das … gefährlich für mich ist. Die Sachen eines Mordopfers zu berühren, vor allem die während der Tat getragene Kleidung. Ich nehme dann Verbindung mit den stärksten, am kürzesten zurückliegenden Gefühlen auf, die die Kleidung durchdringen. Den Augenblick des größten Entsetzens. Für gewöhnlich ist das der Augenblick des Todes.«
»Was ist passiert, als Sie das versuchten?«, fragte Ben.
Sachlich antwortete sie: »Das war wie der Fall in einen tiefen, schwarzen Brunnen. Ich hatte nicht die Kraft, mich allein herauszuziehen. Wenn nicht jemand da gewesen wäre, der den körperlichen Kontakt unterbrochen hatte, hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Trotzdem lag ich eine Woche lang im Koma. Und danach … war es, als wären alle paragnostischen Bahnen in meinem Kopf gekappt oder ausgebrannt. Es dauerte sechs Monate, bis ich meine Fähigkeiten wiedererlangte.« Sie hielt inne, fügte dann fast wehmütig hinzu: »Es war so still. Zum ersten Mal konnte ich verstehen, wie normale Menschen Dinge empfinden.«
Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Matt: »Sie brauchen also etwas, das dem Mörder gehört. Etwas, das er berührt hat und das durch ihren Tod nicht … beeinträchtigt wurde.«
Sie nickte. »Mit der Münze könnte es funktionieren.«
Matt versteifte sich und schoss Ben einen Blick zu, der sofort reagierte.
»Das hat sie nicht von mir.«
Cassie sagte: »Bevor sie starb, habe ich die Verbindung abgebrochen, aber sie baute sich später ganz schwach wieder auf, als er Becky in den Wald brachte. Als er sie in Positur setzte. Deshalb wusste ich, wo sie zu finden war. Und ich sah, wie er ihr die Münze in die Hand legte.«
»Was hat die Ihrer Meinung nach zu bedeuten?«, fragte Ben. »Diese Münze?«
»Ich glaube, sie hat etwas damit zu tun, wie er Beckys Wert einschätzte. Es war ein Silberdollar, nicht wahr?«
»Stimmt«, erwiderte Matt. »Keine Fingerabdrücke.«
»Ja, er hat genau darauf geachtet, keine Beweise zu hinterlassen, die man zurückverfolgen kann, daher wird Sie die Münze selbst vermutlich nicht zu ihm führen.« Cassie runzelte die Stirn und wandte sich an Ben. »Ihr Wert in seinen Augen. Wie er sie in Positur setzte, die Münze, seine Verhöhnung, bevor er sie umbrachte. Er hielt sie für eine Hure.«
»Das war sie nicht«, widersprach Matt augenblicklich. »Sie war nur ein junges Mädchen.«
Cassies Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Sheriff, und sie sagte sanft: »Was sie tatsächlich war, spielte für ihn keine Rolle. In seiner Vorstellung war sie eine Hure. Wenn Sie ihn finden wollen, müssen Sie herausbekommen, wie sein Verstand arbeitet.«
»Ja, ich weiß.« Matt seufzte schwer. »Aber das muss mir ja nicht gefallen.«
»Macht keinen Spaß, zu versuchen, wie ein Geisteskranker zu denken, oder?«
Matt blickte sie an. »Ich hab’s schon kapiert.«
Cassie hakte nicht nach. »Haben Sie die Münze?«
»Vielleicht ist das keine so gute Idee«, meinte Ben. »Für heute, meine ich. Cassie, Sie sagten, Sie wären fast die ganze Nacht wach gewesen – Sie müssen müde sein.« Dass sie sichtbar erschöpft war, fügte er nicht hinzu.
»Ich würde es gern versuchen, Richter.«
»Ich wünschte, Sie würden mich Ben nennen.«
Sie nickte, richtete sich aber weiter an den Sheriff. »Ich möchte es versuchen. Wenn Sie die Münze haben.«
Matt öffnete die mittlere Schublade seines Schreibtisches und nahm einen kleinen, durchsichtigen Beutel mit dem Aufdruck BEWEISMITTEL heraus. Er schob ihn Cassie über den Tisch zu.
Sie berührte ihn nicht sofort und warf stattdessen Ben einen weiteren raschen Blick zu. »Ich brauche eine Rettungsleine.«
»Eine
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