Eisige Schatten
Ben.
»Ich kann es nicht erklären. Außer …«
»Außer was?«, drängte der Sheriff.
Cassie schaute in die Ferne, überlegte und sagte dann: »Außer jemand anderes hat das getan. Stand, nur Minuten nachdem der Mörder verschwunden war, im Türrahmen. Jemand, mit dem ich Verbindung hatte, ohne es wahrzunehmen. Vielleicht habe ich die Erinnerungen von jemand anderem … nacherlebt.«
Der Sheriff schüttelte den Kopf. »Sie haben mit reichlich vielen Leuten Verbindung aufgenommen, wenn Sie mich fragen.«
Ohne auf ihn zu achten, fragte Ben: »War es Matt? Sie waren vorhin in der Lage, seine Gedanken zu lesen. Könnten Sie diese Bilder aus seinen Eindrücken aufgefangen haben, als er gestern hier eintraf und sie sah?«
»Ich weiß es nicht.« Sie blickte zum Sheriff. »Abgesehen von ihrer Leiche, ist der Raum noch genau so, wie Sie ihn vorgefunden haben?«
»Fast.« Er führte es nicht näher aus.
Cassie stand auf. »Ich muss ihn mir noch mal ansehen.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Ben. »Beim ersten Mal hat es Sie ziemlich hart getroffen.«
»Ich bin mir sicher.« Sie ging zur Küche voraus und stellte sich wieder an den Türrahmen. Diesmal blieben die beiden Männer hinter ihr.
Cassie konzentrierte sich darauf, was sie gesehen hatte, verglich die Einzelheiten mit dem Raum, den sie jetzt sah. »Ihre Leiche war da drüben, an der Ecke der Insel neben dem Herd. Einen Schritt oder so entfernt … lag ein Messer. Ein Schlachtermesser, bedeckt mit Blut.« Ihr Blick streifte langsam durch den Raum. »Im Blut nahe der Hintertür waren Fußabdrücke, aber … die Fußspuren auf dieser Seite des Raums waren nicht da. Das ist der einzige Unterschied, den ich sehe.«
»Dann haben Sie nicht Matts ersten Blick in den Raum gesehen«, sagte Ben.
Sie drehte sich zu den beiden Männer um. »Nein?«
Ben starrte den Sheriff an. »Nein. Die Fußspuren auf dieser Seite des Raums stammen von Ivys Verwandten, die sie gefunden haben. Bevor sie Matt anriefen.«
»Also habe ich den Raum gesehen, bevor sie ihn betraten.«
»Ich würde sagen, ja.«
»Dann muss sonst noch jemand hier gewesen sein.«
Der Sheriff funkelte sie an. »Warum kann es nicht der Mörder gewesen sein, der hier stand? Das heißt, vorausgesetzt, irgendwas von dem ganzen Schwachsinn ist wahr.«
»Ich glaube nicht, dass er es war. Ich habe kein Gefühl für ihn bekommen wie zuvor. Genau genommen habe ich kein Gefühl für irgendjemanden bekommen. Für keine Person, meine ich.«
»Warum sind Sie dann so sicher, dass jemand hier war?«
Cassie dachte darüber nach, musste sich aber schließlich geschlagen geben und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Nur … durch Ausschließung. Ich war noch nie in der Lage, einen Ort anzuzapfen, nicht so. Um etwas so lebendig zu sehen, das bereits passiert war, musste ich es durch die Augen von jemandem sehen, durch dessen Erinnerung. Jemand, der hier gestanden hatte, direkt im Türrahmen. Nachdem Mrs Jameson ermordet worden war, aber bevor ihre Verwandten eintrafen.«
Langsam sagte Ben: »Nach vielen Nahtoderfahrungen berichten die Betroffenen, außerhalb ihres Körpers gewesen zu sein, in der Nähe geschwebt und auf sich selbst hinuntergeschaut zu haben. Wäre es möglich, dass Sie diesen Raum durch Ivys Augen gesehen haben, nach dem Mord?«
»Das«, sagte der Sheriff, »ist das Gruseligste, was ich bisher gehört habe.«
Ben schaute Cassie an. »Aber ist es möglich?«
»Ich weiß es nicht.« Sie stimmte dem Sheriff zu. Es war eine gruselige Möglichkeit. »Wenn ja, wäre es für mich etwas vollkommen Neues.«
Sheriff Dunbar schüttelte den Kopf. »Wie auch immer, ich sehe nicht, dass uns das irgendwie weiterbringt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass jemand außer dem Mörder und Ivy in diesem Haus war, bis ihre Verwandten eintrafen. Derweilen muss ich mit drei Leichen fertig werden und einer Stadt am Rande der Panik. Solange Sie mir nichts Hilfreicheres erzählen können, werde ich lieber wieder zu meinen guten, altmodischen Polizeimethoden zurückkehren und versuchen, den Hurensohn zu finden, bevor er noch jemanden umbringt.«
Cassie nickte. »Zwei Dinge. Bevor er … bevor er Jill Kirkwood umbrachte, sagte er etwas zu ihr. Er sagte: ›Du wirst nie wieder über mich lachen.‹«
»Menschen auszulachen war nicht Jills Art«, widersprach Ben sofort.
»Seiner Einbildung nach hatte sie ihn ausgelacht, ihn schlechtgemacht. Vielleicht hatten sie das alle, in seiner Einbildung«, sagte Cassie. »Wozu das
Weitere Kostenlose Bücher