Eisige Schatten
jünger und auf irritierende Weise anziehend.
Er hatte offenbar ihre Stimme gehört und war nicht überrascht, sie wach vorzufinden, doch sein Gesicht war grimmig. Der Blick, den er auf sie richtete, war so eindringlich, dass sie wegschauen musste.
Er setzte sich neben sie aufs Sofa und hielt ihr den Becher an die Lippen. »Trinken Sie das, Cassie. Das wird Ihnen helfen, warm zu werden.«
Es war heiße Schokolade, und sie war entweder sehr gut, oder Cassie war sehr durchgefroren und durstig. Sie trank ein paar Schlucke, zog dann die Hände unter der Decke hervor und nahm Ben den Becher ab. Es war kein Zufall, dass sie ihn dabei nicht berührte.
»Danke, es geht schon.«
Ben widersprach nicht und machte auch keine Bemerkung. Er saß nur da, eine Hand auf der Rückenlehne des Sofas, die andere auf seinem Knie, und starrte Cassie schweigend an. Sie wusste, dass er sie anstarrte, weil sie es spüren konnte.
Matt sagte: »Bisher erinnert sie sich nicht daran, was da draußen passiert ist.«
»Woran können Sie sich erinnern?«, fragte Ben.
Cassie blickte auf den Becher. Die heiße Flüssigkeit erwärmte sowohl ihre eiskalten Hände als auch ihren zitternden Körper, aber sie wusste, dass es lange dauern würde, bis ihr wieder richtig warm war. »Ich erinnere mich, mit Max nach draußen gegangen zu sein. Ich erinnere mich, vom Haus fortgegangen zu sein und zu den Bergen hinaufgeschaut zu haben …«
»Cassie?«
Sie schnappte nach Luft und schloss die Augen, als Gefühle und Bilder vor ihr auftauchten. »Oh Gott. Ich erinnere mich«, flüsterte sie.
»Erzählen Sie es uns«, bat Ben leise.
Es dauerte einen Moment, bis Cassie ihre Stimme in der Gewalt hatte, und als sie schließlich zu sprechen begann, berichtete sie emotionslos von ihrem Erlebnis. Erst gegen Ende der Geschichte brach ihr die Stimme.
»Sie kamen auf mich zu und … und ich konnte nicht weglaufen. Ich konnte nicht mal schreien. Mir wurde nur immer kälter, und meine Angst wurde stärker, während sie näher kamen. Dann … kurz bevor sie mich erreichten … wurde alles schwarz. An mehr kann ich mich nicht erinnern.«
Sie brauchte nicht zu Matt schauen, um zu wissen, dass er zwischen Verblüffung und Unglauben hin- und hergerissen war. Sie riskierte einen kurzen Blick zu Ben, der sie immer noch beobachtete, sein Ausdruck nicht weniger grimmig als zuvor, die Augen undurchdringlich. Sie hatte keine Ahnung, was er dachte oder empfand.
Matt sagte: »Diese Leute waren also Geister?«
»Schätze ich.«
»Sie schätzen?«
Cassie wandte sich dem Sheriff zu, fand es leichter, seinem ungläubigen Blick zu begegnen als Bens unauslotbarem. »Ja, ich schätze. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, weil mir so etwas noch nie passiert ist.« Sie holte Luft. »Schauen Sie, meine Fähigkeiten haben mir nie erlaubt, über … über den Tod hinaus zu gehen. Ich bin kein Medium. Ich fange Gedanken von lebenden Wesen auf, Bilder von Ereignissen, die gerade geschehen oder vor Kurzem geschehen sind. Ich weiß nichts über Geister.«
»Was ist mit dem, was Sie in Ivys Haus gesehen haben? Sie sagten, es sei möglich, dass Sie gesehen haben könnten, was ihr … ihr Geist Augenblicke vor dem Tod gesehen hat.«
Sie zögerte. »Ich sagte, es sei möglich, aber ich glaubte nicht daran. Obwohl es sich so seltsam anfühlte, dass ich sicher war, das Gesehene müsse aus der Erinnerung einer lebenden Person stammen, die dort stand und auf den Schauplatz des Mordes blickte. Aber …«
»Aber?«
»Aber … einige der Dinge, die ich heute fühlte, ähnelten dem, was ich an jenem Tag gefühlt habe, und ich glaube nicht, dass es Erinnerungen waren.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es einfach nicht.«
»Wenn das, was Sie da gesehen haben, Geister waren«, sagte Ben, »wessen Geister waren es dann?«
»Ich habe keinen davon erkannt. Aber sie wurden alle ermordet, glaube ich.«
Matt fluchte leise. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, unser Mörder sei neu in dem Job. Wenn er bereits ein Dutzend Menschen ermordet hat …«
Cassie zögerte erneut und schüttelte noch mal den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es seine Opfer waren. Ich meine … als ich in Mrs Jamesons Küche stand, war es, als würde ich jemanden anzapfen, der den Schauplatz betrachtet. Fast als sähe ich es wie er, aus seiner Perspektive. Das tropfende Blut so drastisch rot, die Leiche mit ihrem vorwurfsvoll auf mich gerichteten Blick. Diese Bilder waren sehr dramatisch, als sei die ganze Sache … in Szene
Weitere Kostenlose Bücher