Eisige Schatten
Cassie, hören Sie ihm nicht zu, außer Sie können es gefahrlos tun.«
»Ich glaube, ich kann mich vor ihm verbergen. Aber …«
»Aber was?«
Sie fühlte sich verloren. »Nichts. Ich höre ihm zu.«
»Seien Sie vorsichtig. «
Cassie machte sich ganz klein und still und hörte vorsichtig zu. Zuerst knisterten seine Gedanken wie atmosphärische Störungen im Radio, rauschten schmerzhaft in ihrem Kopf, doch dann ebbte das Knacken und Zischen ab, als es ihr gelang, durch all die Hintergrundgeräusche zu dringen.
»Er … denkt daran, was er tun wird … ihr antun wird.«
»Wem? An wen denkt er, Cassie?«
»Er … da gibt es keine Identität. Nur sie. So denkt er an sie. Ihr wird es leidtun. Sie wird so überrascht sein. Sie … wird nur ganz langsam sterben.«
»Verflucht.«
»Matt. Cassie, denkt er noch an irgendwas anderes, das uns helfen könnte? An einen Ort oder einen bestimmten Tag?«
»Nur … bald. Er ist ganz heiß darauf, es … es zu tun. Und diesmal will er seine Hände auf ihr haben, wenn sie stirbt. Deswegen die Garrotte. Er will sie spüren … Oh Gott …«
Cassie kroch so schnell es ging aus seinem Geist, und als sie draußen war, sausten der Flur und der Wald verschwommen an ihr vorbei. Und dann war sie wieder bei sich. Ihr Körper fühlte sich kalt an, ihr war übel, und sie war viel müder als zuvor, aber sie war wenigstens wieder da.
»Cassie?«
Langsam öffnete sie die Augen und schaute Ben an. Er war ungewöhnlich bleich, erkannte sie. Hatte ihr Entsetzen so überwältigend geklungen, wie es sich angefühlt hat »Es tut mir leid.« Ihre Stimme klang furchtbar schwach, aber dagegen konnte sie nichts tun. »Ich musste … ich konnte nicht dort bleiben.«
Matt war derjenige, der fragte: »Was hat er gedacht? Was war es, das Sie nicht ertragen konnten?«
Sie holte Luft und versuchte, mit gleichmäßiger Stimme zu sprechen. »Diese will er … vergewaltigen. Er will in ihr sein, wenn sie stirbt.«
Ben stieß einen rauen Laut aus, doch Cassie hielt den Blick auf den Sheriff gerichtet.
Matt machte ein grimmiges Gesicht. »Aber Sie haben keine Ahnung, auf wen er es abgesehen hat?«
»Nein. Ich glaube jedoch, dass er sie bereits ausgewählt hat. Das Gefühl der Vorfreude war stark. Es war wie das Gefühl, das ich beim ersten Mal auffing, als er Becky beobachtete. Es tut mir leid, Matt. Wenn es mir gelungen wäre, bei ihm zu bleiben, hätte er vielleicht daran gedacht, wie sie aussieht oder wo sie war, als er sie beobachtete. Ich könnte es noch mal versuchen …«
»Nein«, mischte sich Ben ein. »Nicht jetzt. Mag sein, dass Sie vorhin nicht müde waren, aber jetzt sind Sie erschöpft. Und Sie zittern immer noch.«
Cassie weigerte sich nach wie vor, ihn anzusehen. »Ich habe Ihnen nichts Hilfreiches geliefert. Ich muss es noch mal versuchen, und das bald, sonst tötet er das arme Mädchen – und Gott weiß wie viele andere noch.«
»Sich selbst dabei umzubringen, hilft uns nicht weiter.«
»Ich kenne meine Grenzen. Und ich bin stärker, als ich aussehe.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Der Blick des Sheriffs war zwischen ihnen hin- und hergewandert, aber als Ben nicht auf Cassies letzte, kurz angebundene Aussage reagierte, sagte Matt: »Wenn wir Glück haben, werden ein paar Stunden nichts ausmachen. Warum ruhen Sie sich nicht erst mal aus, und wir versuchen es am späteren Nachmittag wieder? Je stärker Sie sind, desto besser stehen die Chancen, dass wir etwas Nützliches erfahren. Stimmt’s?«
Cassie war nicht leichtsinnig. »Ja. In Ordnung.«
Ben sagte: »Versprechen Sie mir, dass Sie es nicht allein probieren. Ohne Rettungsleine.«
Cassie wollte ihn darauf hinweisen, dass die meisten ihrer Kontakte mit dem Mörder ohne eine Rettungsleine stattgefunden hatten, aber etwas in Bens Stimme warnte sie davor, ihn daran zu erinnern. »In Ordnung.«
»Versprochen?«
»Das habe ich doch gerade getan.«
Ben holte hörbar Luft und sagte dann: »Matt, würdest du uns bitte kurz allein lassen?«
»Klar doch. Ich warte im Auto.« Cassie sah dem Sheriff nach und hörte, wie sich die Haustür leise hinter ihm schloss. Und als sich das Schweigen zu lange ausdehnte, schaute sie endlich Ben an.
»Was ist los?«, fragte er leise.
»Was meinen Sie damit?« Sie fand selbst, dass ihre Stimme ausweichend klang.
Ben runzelte die Stirn. »Soll ich Ihnen eine Liste aufstellen? Also gut. Gestern Abend haben Sie sich mit mir vollkommen wohlgefühlt, heute anscheinend nicht. Sie weichen meinem Blick
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