Eisige Umarmung (German Edition)
hast du mich sonst noch belogen?“
Er griff nach ihrem Handgelenk, als sie sich abwenden wollte. „Du verhältst dich vollkommen irrational. Das hat nichts mit unserem Gespräch von vorhin zu tun.“
Sie befreite sich aus seinem Griff, wollte dieser heißen Hand nicht nachgeben. Sie war so verflucht hungrig, dass sie sich ihm sofort hingegeben hätte. Er hätte sie nur einmal, nur ein einziges Mal streicheln müssen, und sie wäre dahingeschmolzen. Zum Glück war Judd kein zärtlicher Typ. „Soll ich dir was sagen? Außerhalb des Medialnets nennt man das Wut. Und damit du es weißt, ich habe vor, noch eine ganze Weile wütend zu sein.“ Sie riss die Tür auf, stürmte auf den Flur und rannte aus der Höhle hinaus.
Erst im dunklen Wald nahe der inneren Grenze blieb sie stehen. Sie war außer sich und zitterte, legte die Hand an einen Baumstamm und versuchte, in der kalten Luft ruhig durchzuatmen, doch ihr Atem ging immer noch stoßweise und ließ sich nicht bändigen. Judd hatte recht. Oberflächlich gesehen war ihre Reaktion irrational, als finge sie einen unsinnigen Streit an. Er konnte sie nicht verstehen.
Allein die Tatsache, dass er ihr etwas verheimlicht hatte, um sie nicht aufzuregen, sie wie eine Kranke behandelt hatte, hätte genügt, um sie aufzubringen. Aber das war nicht der Grund, warum sie so am Boden zerstört war. Er hatte sie gedemütigt und gebrochen gesehen. Der Schlächter hatte sie in seiner Folterkammer mit gespreizten Armen und Beinen auf ein Bett gebunden. Nackt und blutend hatte sie dort gelegen.
Judd sollte nicht dieses Bild von ihr im Kopf haben. Er hatte sie auch während der Heilungssitzungen erlebt, aber da hatte sie schon wieder gekämpft, voller Stolz, überlebt zu haben. Doch in Enriques Kammer war sie kurz davor gewesen, sich aufzugeben, er hatte fast ihren Willen gebrochen. Bevor sie sich ganz nach innen zurückgezogen hatte, hatte sie ihn angefleht. Wenn der Schlächter ihr versprochen hätte, sie freizulassen, wäre sie vor ihm auf dem Boden gekrochen, hätte sich auf seine kranken Spielchen eingelassen, hätte seine Füße geküsst … hätte alles getan, damit die Schmerzen aufhörten.
Zum zweiten Mal an diesem Tag rannen Tränen über ihr Gesicht, aber diesmal weinte sie nicht still vor sich hin. Die Verletzungen brannten wie Säure auf ihrer Haut. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Aber die Tränen liefen weiter. Sie fühlte sich so gedemütigt und verletzt, so ärgerlich und verlassen, dass sich ihr die Brust zuschnürte und sie kaum noch Atem bekam.
Zwei Hände legten sich auf ihre Schultern.
Sie war so erstaunt, dass sie die Fäuste erst hob, als er sie schon zu sich umgedreht hatte. Er drückte sie dennoch an sich. „Schsch, nicht doch.“
Aber sie musste nur noch mehr weinen. Als er sich schützend über sie beugte und die Wange an ihrem Haar rieb, brach ihr fast das Herz. Silentium würde einen hohen Preis dafür von ihm fordern. Und dennoch hielt er sie in den Armen.
„Warum bloß?“ Sie versuchte, ihn wegzustoßen, aber er hielt sie fest. „Warum?“
Sie spürte die ihr nun schon vertraute dominante Hand auf ihrem Nacken. „Ich weiß, wie stolz du bist und wie stark. So sehe ich dich, und nur das allein zählt.“
Ihr Hals fühlte sich ganz rau an. „Hast du mich damals gesehen?“ Ausgestreckt auf dem Bett, nur eine Sache, Körper und Geist voneinander getrennt.
„Nein.“
„Lüg mich nicht noch einmal an. Das könnte ich nicht ertragen.“
„Ich habe dich nicht gesehen. Deine Brüder haben niemanden hereingelassen.“ Aber er war hinterher in den Raum gegangen, hatte die Liege gesehen, die blutigen Abdrücke ihres verzweifelten Kampfes und die Folterinstrumente, die Enrique seinen geistigen Kräften vorgezogen hatte.
Sie weinte jetzt nicht mehr so stark, aber es dauerte noch eine Weile, bevor ihre Tränen ganz versiegt waren. Er würde dieses Schluchzen nicht noch einmal ertragen. Und ihr Schweigen bohrte sich in Stellen, die niemand hätte erreichen sollen. Fast hätte er sie dazu gezwungen, etwas zu sagen.
Die blauen Zacken in ihren Augen schienen zu glühen, als sie endlich den Kopf hob. „Ich habe Drew und Sascha gebeten, mir die Einzelheiten über meine Rettung zu erzählen. Sie haben dich beide nicht erwähnt, sagten nur, du hättest beim Aufstellen der Falle für geistige Ablenkung gesorgt.“
„Sascha hat nichts von meiner Beteiligung gewusst“, erzählte er ihr. „Ich bin erst in letzter Minute
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