Eisige Umarmung (German Edition)
Todesurteil.“
„Aber, Brenna, er weiß doch, dass du gar nichts gesehen haben kannst.“ Er beugte sich vor, hielt sich aber gerade noch zurück, bevor er sie berührte. Dennoch spürte er, wie seine Nase wieder anfing zu bluten. Er konnte es telekinetisch aufhalten, aber nicht sehr lange. „Der Mörder hatte Tims Tod genau geplant, damit es keine Beweise, keine Spuren und auch keine Augenzeugen gab. Und er weiß, dass er sich nicht geirrt hat.“
„Vielleicht ist er ja genauso verrückt wie du.“ Ihre Nasenflügel bebten. „Glaubst du etwa, ich rieche nicht, dass du blutest?“
Er ging nur auf den ersten Teil ihrer Worte ein. „Er handelt viel zu überlegt für einen Verrückten. Denk nach, Brenna, was könntest du noch wissen?“
„Nichts!“ Sie warf hilflos die Hände in die Luft. „Der Heilungsprozess hat Monate gedauert, und dann haben Drew und Riley auf mich aufgepasst. Du wahrscheinlich auch, wenn ich es mir recht überlege. Ich werde immer noch zu sehr behütet.“
Judd spürte, wie ein eisiger Schauer seine Wirbelsäule hinunterkroch, als sein Hirn endlich die Verbindung zog, nach der er tagelang gesucht hatte. „Am Tag, als Tim ermordet wurde, bist du zum ersten Mal wieder aus dir rausgegangen – hast keine Befehle befolgt und bist aggressiv gewesen.“
„Ich habe mich ganz normal verhalten“, gab sie zurück.
„Ja.“ Er sah ihr in die Augen. „Du hast dich zum ersten Mal so verhalten, als seiest du völlig geheilt.“
Brenna runzelte die Stirn. „Judd, du musst schon deutlicher werden, sonst verblutest du hier vor meinen Augen.“ Trotz der scharfen Worte stand die Sorge wie eine offene Wunde in ihren Augen.
„Was ist an dem Tag passiert, als Enrique dich entführt hat?“
„Warum fragst du?“, fuhr sie ihn an. „Du weißt doch, dass ich mich an nichts erinnere.“
„Und warum nicht? An alles andere erinnerst du dich doch auch.“ An jeden Schnitt, jeden Schlag, jede einzelne Verletzung.
„Es war der Schock.“ Sie schlang die Arme um ihren Leib. „Das haben auch die Heilerinnen gesagt.“
„Dein Rudel hat damals Beweise gefunden, dass ein unbekannter Lieferwagen in der Nähe geparkt hatte.“
„Enrique muss mich irgendwie bewusstlos gemacht haben.“ Ihr Stirnrunzeln erinnerte ihn daran, dass sie schon oft über dieses Thema gesprochen hatten. „Ich wäre nie zu einem Fremden in den Wagen gestiegen.“
„Nein, das wärst du bestimmt nicht.“
„Also, warum –“ Erschrecken machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Nein“, flüsterte sie und schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück. „Nein, du musst dich irren.“
Judd hätte sich liebend gern geirrt, wenn er dadurch diesen Ausdruck auf Brennas Gesicht hätte verscheuchen können. Er hatte sich von der Loyalität zu ihrem Rudel blenden lassen, als sie das erste Mal dieses Thema gestreift hatten, und auch jetzt hatte er nicht den kleinsten Beweis für seine Annahme. Aber sein Instinkt sprach dafür. Brenna war die Einzige, die etwas über die genauen Einzelheiten der Entführung wissen konnte.
Das war ein viel stärkerer Grund dafür, sie zu töten, als ihre Bemerkung über den Mord an Tim. Sie war so offensichtlich verstört gewesen an diesem Tag, dass ein geschickter Wolf sich immer hätte herausreden können, ganz egal, was sie vermeintlich gesehen hatte. Aber wenn sie nicht mehr existierte, konnte niemand mehr beweisen, was Judd jetzt vermutete: Ein Wolf, ein Rudelgefährte, hatte sie an Santano Enrique verkauft … damit dieser sie wie ein Metzger abschlachten konnte.
41
Nikita lud den Datenkristall, den sie an diesem Morgen erhalten hatte, auf ihren Computer. Sie hatte sehr viel für die Informationen bezahlt. Ihre Kontaktperson hatte allerdings behauptet, es sei noch viel zu wenig dafür, dass er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Nikita musste ihm recht geben. Kalebs besondere Gabe – man munkelte, er könne einen für immer in den Wahnsinn treiben – brachte selbst die Erfahrenen unter ihnen dazu, alles bis ins Kleinste besonders sorgfältig zu überdenken.
Die Datenübertragung war beendet. Der Ordner enthielt mehrere Schriftstücke mit dem Stempel des Ausbildungszentrums, in das man Kaleb im Alter von drei Jahren gesteckt hatte, nachdem sich die ersten Anzeichen seiner telekinetischen Fähigkeiten gezeigt hatten. Wie üblich waren diese Dokumente versiegelt worden, als Kaleb offiziell erwachsen geworden war. Deshalb war es so schwer gewesen, an sie heranzukommen … und deshalb
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