Eisige Umarmung (German Edition)
Bank im hinteren Teil der Kirche und sah durch die Glaskuppel in den Sternenhimmel. Der Anblick erinnerte ihn daran, was er aufgegeben hatte, als er das Medialnet verließ – diese kühle Dunkelheit, das eisige Glitzern von Millionen Sternen.
„Die Jungen knien nicht mehr, aber die Älteren sind noch zur Zeit der römisch-katholischen Kirche aufgewachsen.“ Die männliche Stimme schien von demselben Frieden durchdrungen zu sein wie die Wände der Kirche. Das war die einzige Gemeinsamkeit, die sie mit einer der reich verzierten vorreformatorischen Kirchen hatte – diese stumme Ehrerbietung, die durchdringende Stille, die man fast hören konnte.
Judd sah den Mann an, der sich neben ihn gesetzt hatte. „Vater Perez.“
Das Weiß der Zähne hob sich gegen den dunklen Teint von Perez ab, als dieser lächelte. „Das hört sich an, als käme ich bald in Pension wie ein verdienter älterer Mitbürger. Dabei bin ich erst neunundzwanzig.“ In der Wintertracht der Reformationspriester – weite weiße Hosen und ein ebensolches Hemd, auf dessen linker Seite ein Besatz mit blauen Schneeflocken war – wirkte er sogar noch jünger. Doch in seinen Augen stand ein Wissen, das ihn älter aussehen ließ.
Für Judd war er eher ein Kamerad im Kampf als ein Priester. „Es ist nur Ihr Titel.“
„Wir arbeiten jetzt seit beinahe sechs Jahren zusammen. Warum nennen Sie mich nicht Xavier? So wurde ich getauft, selbst unser scheuer Freund nennt mich so.“
Das wäre der erste Schritt zu einer Freundschaft gewesen, doch Judd wollte keinen Freund haben. Um das zu tun, was er tat, das zu sein, was er war, musste er Abstand halten. Von denen, die seine Freunde sein konnten, und von der Frau, die … noch mehr werden konnte. „Hat er Ihnen etwas für mich gegeben?“
Perez seufzte. „Ganz egal, was Sie getan haben, das Urteil darüber müssen Sie einem anderen überlassen, Judd.“ Perez reichte ihm einen Quarzspeicher in einer Plastikhülle. Diese Kristalle waren zwar teurer als die üblichen CDs, aber sie waren sicherer und konnten mehr Daten speichern.
Judd steckte den Speicher in die Innentasche seiner Hose. „Vielen Dank.“ Für die heutige Aktion brauchte er diese Daten nicht, aber für den nächsten Schlag.
„Das Neue Testament sagt, Gott will uns weder strafen noch verwunden. Gott will, dass wir lernen und wachsen, damit wir im Lauf der Zeit bessere Seelen werden.“
Um daran zu glauben, musste man eine Seele besitzen. „Und was ist mit dem wirklichen Bösen?“, fragte Judd, in seinem Kopf tauchten Bilder eines blutdurchtränkten Raumes auf, er sah eine Frau mit Blutergüssen am Hals. „Was sagt Ihr Testament dazu?“
„Gute Menschen müssen das Böse bekämpfen und schlechte werden nach ihrem Tod gerichtet.“
Judd richtete seinen Blick auf die einsame Gläubige, die immer noch vor dem Altar kniete. Sie schluchzte leise und als ob sie sich schämte. „Manchmal muss das Böse gerichtet werden, ehe es das Gute tötet, alles Licht zerstört.“
„Ja.“ Perez sah ebenfalls die Frau an. „Deshalb sitze ich ja hier.“
„Wie bringen Sie die beiden Hälften Ihrer Existenz – den Priester und den Soldaten – in Einklang?“ Wie verband man Licht und Schatten? Die Frage hätte er nicht stellen sollen, denn sie führte zu nichts, aber er hatte es nun einmal getan und wartete jetzt auf die Antwort. Er war so sehr auf der Suche.
„So wie man heute und morgen vereint. Mit Hoffnung und Vergebung.“ Perez stand auf. „Ich muss jetzt dieser Frau Trost spenden. Sie können den Trost nur in sich selbst finden.“
Judd sah Perez hinterher, der den breiten Gang zwischen den Bankreihen hinunterging, sich neben die Frau kniete und den Arm um sie legte. Sie fand Beistand in seiner Umarmung. Es war eine ganz einfache Handlung, aber Judd war dazu nicht fähig. Er war ein nacktes Schwert, seine Bestimmung, seine Gabe war zu töten. Als er ein Kind war, hatte man befunden, er könne nicht mit den anderen zusammenleben, und ihn an einen anderen Ort gebracht. Er war zwischen Schatten aufgewachsen. Da seine Familie jetzt in Sicherheit war, hatte er in der Höhle der SnowDancer nichts mehr zu suchen, und er hatte auch kein Recht dazu, Brenna Hoffnungen zu machen.
Denn er hatte ein Stück dazu beigetragen, indem er sie näher an sich herangelassen hatte als jedes Wesen vor ihr. Er war bereits gefährlich nahe daran, mit Silentium zu brechen. Das durfte er nicht zulassen. Niemals. Brenna sah in ihm den Mann, aber in Wahrheit
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