Eisige Umarmung (German Edition)
ihrer Augen eigentümlich zwischen Grau und Blau changierte. Kaleb legte Wert darauf, auch über solche unwesentliche Fakten informiert zu sein – er duldete niemanden in seiner Nähe, den er nicht in- und auswendig kannte.
„Ich habe alles Material, an das wir herankamen, noch einmal überprüft. Unglücklicherweise gab es einen Anschlag, bevor wir alles dekodieren konnten“, sagte sie, „aber wir konnten genug in Erfahrung bringen, um unsere Schlüsse zu ziehen. Irgendjemand hat bereits die Erlaubnis gegeben, das Implantat an Versuchspersonen auszuprobieren.“
Kaleb lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah durch das Fenster hinunter auf das kalte, graue Moskau. Über den schneebedeckten Platz hasteten Leute, als wären sie alle sehr beschäftigt und hätten es eilig. Kein Wunder, denn diese Stadt war seit mehr als vierzig Jahren eines der Wirtschaftszentren der Welt. „Konnten Sie herausfinden, wer diesen Befehl gegeben hat?“ Er wandte sich wieder Silver zu.
„Fehlanzeige.“ Sie sah nun ebenfalls aus dem Fenster. „Sie scheinen eine Verabredung zu haben.“
Er hatte den herannahenden Hochgeschwindigkeitsjet auch schon gesehen. „Wir haben noch zehn Minuten, bevor meine Gäste hier sind. Erklären Sie mir, was ich sonst noch wissen muss.“ Unter Umständen konnten weitere Informationen seine Pläne entscheidend beeinflussen.
„Die Freigabe kam aus den höheren Rängen des Rats. Dieses Individuum oder diese Individuen konnten Versuchspersonen zu Verfügung stellen, die entweder freiwillig mitmachten oder die man nicht weiter vermissen würde – in diesem Punkt waren die Aufzeichnungen sehr vage.“
Ein bewusstes Versehen, dachte Kaleb. Kein logisch denkender Medialer würde sich ein Implantat ins Gehirn einpflanzen lassen, das noch nicht einmal die Beta-Testphase erreicht hatte. Er war fast sicher, dass es nicht einen einzigen Freiwilligen gegeben hatte.
„Wir haben zwar nur einen Teil der Daten“, fuhr Silver fort, „aber mit neunzigprozentiger Sicherheit besteht die Testgruppe aus nur zehn Personen. Sie hatten bereits einen Todesfall.“
„Besorgen Sie mir die Leiche.“ Wenigstens im übertragenen Sinne. Einen vermissten Medialen, auf den die Beschreibung passte.
„Ich bin bereits damit beschäftigt.“ Silver sah auf den Bildschirm ihres Organizers. „Es gibt noch zwei weitere bedeutende Dinge: Erstens scheint Ashaya Aleine das Problem der statischen Störung gelöst zu haben.“
Statische Störung war die Bezeichnung für das ständige Summen der Millionen flüsternder Medialengehirne, wenn man Programm I simulierte. Kein Medialer würde bei diesem störenden Geräusch funktionieren.
„Und der zweite Faktor?“ Eine kleine Lampe leuchtete auf der Oberfläche seines elektronischen Schreibtischs auf. Der Jet war auf dem Dach des Gebäudes gelandet.
„Es ist allgemein bekannt, dass Programm I in der ursprünglichen Fassung nie funktioniert hätte, der Verstand unseres ganzen Volkes wäre auf eine einzige Ebene reduziert worden. Mit anderen Worten, wir wären alle Arbeitsbienen geworden.“
Und ein Bienenvolk brauchte eine Königin, um zu überleben. „Wollen Sie damit sagen, dass Aleine es geschafft hat, für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen verschiedene, miteinander kompatible Implantate zu entwickeln?“ Damit die Macht in den Händen derjenigen blieb, die dafür sorgten, dass die Medialen weiterhin an der Spitze der Nahrungskette standen.
„Nicht ganz“, erläuterte Silver, „aber es ist ihr anscheinend gelungen, primäre und sekundäre Implantate zu schaffen. Acht der ursprünglich zehn Versuchspersonen bekamen sekundäre Implantate, zwei von ihnen primäre.“
Zwei Herrscher, die alles unter Kontrolle hatten. Dieses Vorrecht würden diejenigen bekommen, die an der Macht waren, wenn man Programm I umsetzte. „Versuchen Sie, mir die Namen zu besorgen.“ Er hatte bereits einen Verdacht, aber er brauchte Beweise.
„Sehr wohl, Ratsherr.“ Silver nickte und ging hinaus.
Wieder flammte ein Licht unter der glänzenden schwarzen Oberfläche seines Schreibtischs auf, sein Besucher war aus dem gläsernen Fahrstuhl gestiegen und auf dem Weg zum Büro. Kaleb gab seinen Sicherheitscode auf einer versteckten Schalttafel ein. Die Schreibtischoberfläche wurde undurchsichtig, zeichnete aber weiterhin alles auf, was im Raum vor sich ging. Damit würde sein Gast aber sehr wahrscheinlich rechnen.
Es klopfte, und sein Mitarbeiter Lenik öffnete die Tür. „Ratsherrin
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