Eisige Versuchung
die Kehle durch und verscharren mich hinter Ihrem Haus im Wald?« Sie hatte das so patzig wie möglich herausbringen wollen, aber das war gehörig in die Hose gegangen, denn ihre Stimme zitterte wie Espenlaub.
»Ich bitte Sie! Halten Sie mich etwa für einen Barbar?« Er zog seine Jacke aus, ging in die Küche und hängte sie ordentlich über die Rückenlehne eines Stuhls. In aller Ruhe krempelte er die Ärmel seines beigefarbenen Hemdes auf. Das Schulterholster mit seiner Dienstwaffe behielt er an.
Als er mit einem Brotmesser zu Shade zurückkehrte, keuchte sie. Ihr Körper versteifte sich. Ihre Zunge klebte am Gaumen, sodass ihr das Schlucken schwerfiel.
»Das ist nicht mein Stil.« Einige Sekunden lang blieb er vor ihr stehen, die Klinge drehte er dabei permanent hin und her und ergötzte sich daran, wie Shade nach Luft japste, ihr Blick zwischen ihm und dem Messer hin und her glitt und Schweiß über ihre Schläfe perlte.
Seine Worte nährten nur ihre Furcht. Er hatte etwas mit ihr vor, und sein Plan sah bestimmt nicht so aus, dass er sie mit seinem Dienstwagen nach Bridgeport zurückfuhr und ihr noch einen schönen Tag wünschte.
Ein Beben ging durch sie hindurch, als er ihre Fesseln losschnitt. Völlig überrascht blieb sie sitzen und starrte ihn an. Sie war im ersten Moment erleichtert, doch dann nagten Zweifel an ihr. Sein Blick war neutral, sie konnte nicht daran ablesen, was er mit ihr vorhatte. Er trug diese Maske schon seit Jahren, hatte den Bewohnern den rechtschaffenen Polizisten vorgegaukelt und im Verborgenen seine Karriere mit unmoralischen und illegalen Mitteln vorangetrieben. Seine aalglatte Fassade hatte auch Shade nicht erschüttern können.
Selbstsicher und überlegen trat er zurück. Sein Lächeln war so falsch wie das Weiß seiner Zähne. Er würde alles dafür geben, den schönen Schein weiterhin zu wahren. Doch Shade stand ihm im Weg.
Als er die Klinge in einen Holzbalken, der in das Panoramafenster eingearbeitet war, um ihm Stabilität zu verleihen, rammte, zuckte sie unwillkürlich zusammen. »Gehen Sie, Ms. Mallory!«
Zögerlich stand sie auf.
Er deutete hinter sie. »Die Tür ist nicht verschlossen.«
»Was haben Sie vor?« Ihre Füße wollten sofort losrennen, aber ihr Verstand hielt sie zurück.
Statt zu antworten, öffnete er den Druckknopf an seinem Holster.
Obwohl Shade heiß war, bekam sie eine Gänsehaut.
»Sie wollen mich auf der Flucht erschießen? Welchen Grund könnten Sie vorschieben? Ich bin keine Verdächtige des Sheriff’s Office, die versucht, sich der Festnahme zu entziehen.«
»Sie sind bei mir eingebrochen, und als ich Sie stellte, griffen Sie mich an. Zu dumm, dass die Gemeinde kein Geld für Elektropistolen hat, also war ich gezwungen, mit scharfer Munition zu schießen.«
»Warum sollte ich bei Ihnen einsteigen?«
»Woher soll ich das wissen? Bevor ich Sie fragen konnte, waren Sie schon tot.« Er machte eine wegwischende Bewegung in Richtung Aussicht und der Gemeinde im Tal. »Die Kleingeister im Ort wird das ohnehin nicht interessieren, sie mögen keine Großstädter wie Sie.«
Shade wollte ihm an den Kopf werfen, dass sie zwar in Los Angeles lebte, wie er wohl ihrer ID entnommen hatte, aber in Bridgeport aufgewachsen war, doch damit hätte sie womöglich Maud und Baba Grimes in Gefahr gebracht, weshalb sie schwieg.
»Also sind Sie doch ein Mörder!« Ihre Beine schlotterten erbärmlich.
Hartcourt lockerte seinen Krawattenknoten. »Ehrman und Sie, Ms. Mallory, zwingen mich zu drastischen Maßnahmen.«
So sah also seine Sicht auf die Dinge aus! Er verdrehte die Wahrheit und betrachtete sich als das Opfer. Dabei sah er in diesem Moment nicht einmal verschlagen aus, sondern eher so, als würde er tatsächlich glauben, was er von sich gab. »Er muss nicht ganz richtig im Kopf sein«, dachte Shade, vielleicht veränderte sein Größenwahn ihn bereits.
Sie schaute zur Haustür, doch um dorthin zu gelangen, musste sie durch das gesamte Untergeschoss sprinten und war während dieser Sekunden schutzlos – eine wandelnde Zielscheibe! Die Klinge steckte noch hinter Earl Hartcourt im Balken, aber damit Shade sie ergreifen konnte, musste sie an ihm vorbei, was keine Option darstellte. In der Küche würde sie Waffen finden, weitere Messer, Pfannen und womöglich Putzmittel, die sie ihm ins Gesicht schleudern konnte, um ihn blind zu machen.
Der Sheriff zog seine Pistole und deutete ihr mit einer Geste an, endlich seiner Aufforderung nachzukommen. »Es
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