Eisige Versuchung
Magazin aus und steckte die Patronen in seine Jackentasche.
Mit einem überlegenen Grinsen warf er die Flinte vor Arthurs Füße. »Wir müssen reden.«
»So, reden, hm?« Das Schnauben ihres neuen Bekannten bereitete Shade Sorgen. Die Männer schienen sich zu kennen und irgendwelchen Ärger miteinander zu haben. Und sie war zwischen die Fronten geraten.
Möglicherweise hätte sie doch auf Socorro LaMotta hören und nicht in die Sierra Nevada fahren sollen. Im Meteorologischen Institut war sie sicher … aber auch unzufrieden. Manchmal erstickten die Wände sie. Zu selten wurde sie auf Außeneinsätze geschickt. Sie war zwanglos aufgewachsen, der Freiheitsdrang steckte immer noch in ihr. Allerdings hatte er ihr damals schon geschadet, und auch jetzt brachte er ihr nur Scherereien.
Hätte sie Sonny nicht dazu überredet, sie gehen zu lassen, hätte sie aber auch niemals von der Existenz eines Eisengels gehört. Ihr war nie ein attraktiverer Mann als Roque begegnet! Er war ein Wunder, ein Traum, ein Bild von einem Kerl. Er würde noch lange ihre erotischen Fantasien beherrschen, ahnte sie.
»Sie sollten zur Vernunft kommen, Mr. Ehrman.« Der Mann stand aufrechter als sein Komplize, war glatt rasiert und trug einen akkuraten Mittelscheitel. Seine Augen wirkten wachsam, während die seines Kumpanen klein wie die eines Wiesels waren.
Der Zweite stellte sich breitbeinig in die Tür, spuckte in seine Handfläche und strich mit der feuchten Hand seine Haare zurück. Offensichtlich hatte er lange keinen Frisör mehr aufgesucht. Seine Bartstoppeln waren mehr als drei Tage alt, schätzte Shade. Obwohl sie anderthalb Meter von ihm entfernt stand, roch sie den Schweiß, den er absonderte. Sein linker Augapfel bewegte sich nicht, egal, wohin er schaute. Das linke Auge musste ein künstliches sein.
»Sie meinen wohl, das Maul halten.« Arthur bewegte sich langsam rückwärts und warf einen raschen Blick zum Kleiderschrank.
»Dort haben Sie bestimmt weitere Patronen versteckt, nicht wahr?« Warnend zielte der Mann mit seinem Revolver auf ihn.
Es machte den Eindruck, als würde Arthur Raum zwischen sich und den Schrank bringen, um seinem Kontrahenten keinen Grund zu geben abzudrücken. Doch Shade bemerkte, dass er sich ausgerechnet dort gegen das Gestell lehnte, als wäre er völlig entspannt, wo ein langes Brotmesser auf dem mittleren Regalboden lag.
»Vergnüg dich draußen mit ihr!«, sagte der Eindringling über seine Schulter hinweg.
Die Augen seines Komplizen weiteten sich, und er grinste schmierig. »Mach’ ich doch gern!« Er winkte Shade mit seiner Waffe zur Tür.
Besorgt sah sie Arthur an, der ihr zunickte und, weil die beiden Eindringlinge gerade zu Shade sahen, lautlos das Messer vom Regal nahm und hinter seinem Rücken in seinen Hosenbund steckte.
Ihr war speiübel vor Aufregung. Sie wollte weder Arthur mit diesem Kerl allein lassen noch dem anderen Typen ausgeliefert sein. Aber ihre Pistolen waren Argumente, denen sie nichts entgegenzusetzen hatte.
Mit zitternder Hand nahm sie ihre Skijacke und streifte sie über.
»Die wirst du nicht brauchen«, ließ der Mann sie wissen und zog seine Blumenkohlnase hoch.
Sie schloss den Reißverschluss nur umso schneller. Insgeheim nannte sie den ungepflegten Typen Averell , weil er sie aufgrund seines debilen Gesichtsausdrucks an den dümmsten der Dalton-Brüder erinnerte, und seinen Kumpel Joe , wie den Anführer der Verbrecherbande aus dem Comic »Lucky Luke«, da er der Rädelsführer zu sein schien. Mochte Averell auch wie neben der Spur wirken, so machte Shade nicht den Fehler, ihn als harmlos einzustufen.
Sie war aus Los Angeles so einiges gewohnt und hatte sich bisher immer zur Wehr setzen können, aber gegen Engelmacher , wie Baba Grimes Schusswaffen nannte, hatte sie keine Chance. Trotzdem wollte sie sich nicht kampflos ihrem Schicksal ergeben.
Blitzschnell preschte sie vor und stieß Averell an. Sie überraschte ihn eiskalt. Er ruderte mit seinen Armen, um nicht auf seinen Hintern zu fallen und sich zum Trottel zu machen. Die Schrecksekunde nutzte Shade und rannte aus der Hütte. Arthur würde schon mit Joe fertigwerden, wahrscheinlich besser als sie mit seinem Komplizen, denn er wusste immerhin, mit wem er es zu tun hatte, und hatte sich schon heimlich eine Waffe besorgt.
Shade blieb vorerst nur die Flucht. Sie musste Hilfe holen. Durch den Schnee zu laufen wurde schnell zur Qual. Keuchend nahm sie ihr Handy aus der Innentasche ihrer Jacke, aber wie
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