Eisige Versuchung
geschafft?« Sie breitete ihre Arme aus. »Hast du irgendeinen Zauberspruch aufgesagt?«
Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, machte er eine Miene, als könnte er sich gerade noch beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen. »Das machen meine Flügel von allein.«
»Wow, beeindruckend!« Sie packte die Chance beim Schopfe und sprach ein anderes Thema an, das ihr schon lange auf der Zunge lag. »Wie ein Chamäleon.«
»Nein, so nicht. Die Federn funktionieren wie ein Tarnschild«, erklärte er, da er ihre Absichten nicht durchschaute. »Ich wechsle ja nicht meine Hautfarbe.«
»Ich dachte, das könntest du auch.« Mit der Spitze ihres Boots zeichnete sie Kreise auf den Boden. »Als wir uns zum ersten Mal trafen, war deine ganze Erscheinung so blass, dass du vor der winterlichen Kulisse kaum aufgefallen bist. Schau dich jetzt an! Deine Haare sind dunkler, und dein Teint sieht frischer aus, nicht mehr, als wärst du eine Woche lang in einer Tiefkühltruhe eingeschlossen gewesen.«
»So kann man den Hades auch bezeichnen«, murmelte er und lief einfach los. »Lass uns zum Auto gehen!«
Shade eilte ihm hinterher. »Dann taust du langsam auf?«
»Ich habe nicht viel herausgefunden.« Entschuldigend hob Roque die Schultern. »Die Zeitung lag auf dem Beifahrersitz. Eine Landkarte schaute heraus, wahrscheinlich eine von dem Gebiet, in dem wir stehen, nicht vom gesamten Tal, denn die Abbildung des Reservoirs nahm fast die gesamte Seite ein.«
»Hm«, machte sie, überlegte, ob sie zurück auf ihn zu sprechen kommen sollte, ahnte jedoch, dass er das nicht zulassen würde, und seufzte resigniert. »Das ist seltsam. Einen Plan von der Umgebung kann man in jedem zweiten Geschäft in Bridgeport kaufen. Warum sollte der Sheriff ihn Broadbaker heimlich zustecken?«
»Mehr konnte ich nicht erkennen. Oben drüber stand Kultur-irgendwas.« Verärgert, offensichtlich über sich selbst, weil er nicht mehr Informationen gewonnen hatte, wischte Roque mit seiner Hand durch die Luft. »Die Karte war zusammengefaltet, und die Überschrift ging auf der anderen Seite weiter. Tut mir leid.«
»Vielleicht stand Kulturzentrum darauf.« Shade erzählte ihm, dass sie kurz im Internet recherchiert und dort gelesen hatte, dass es sich bei Lionel Broadbaker um einen Investor handelte, der durch Gesundheitstourismus reich geworden war, sich aber auch viele Feinde gemacht hatte, denn er interessierte sich nicht für das Wohl der Gemeinden und der Natur, sondern nur für seinen Profit. »Womöglich baut er diesmal keinen Hotel-Klinik-Komplex.«
»Sondern eine Begegnungsstätte? Einen Ort zur Erhaltung der amerikanischen Kultur?« Vehement schüttelte Roque den Kopf. »Das glaube ich nicht. Jemand, der nur Dollarscheine im Sinn hat, macht keine plötzliche Kehrtwende und engagiert sich.«
»Vielleicht doch, um die Wogen zu glätten und seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.« Shade tauchte neben ihn in den Schutz des Waldes ein. Denn würde jemand den Eisengel an ihrer Seite sehen, wäre es lächerlich zu behaupten, dass seine Schwingen zu seinem Kostüm gehörten, wo Halloween doch erst in zwei Wochen war und sie zwischen seinen Schulterblättern herauswuchsen.
»Damit könntest du recht haben. Bleibt allerdings immer noch die Frage, was Earl Hartcourt damit zu tun hat«, gab Roque zu bedenken. »Wenn ein Investor eine öffentliche Einrichtung bauen lässt, wäre das doch eine tolle Sache für das Tal.«
»Und der Sheriff würde sich mit den Lorbeeren schmücken«, führte sie seinen Gedanken weiter. Als etwas ihren Rücken berührte, glaubte sie, er würde seinen Arm um sie legen, doch es war eine seiner Schwingen, die er an ihre Kehrseite schmiegte. Sie lächelte in sich hinein.
»Irgendetwas ist faul an der Sache.« Er öffnete und schloss seine Hände, als wären seine Finger kalt und er wollte sie wärmen, indem er die Blutzirkulation anregte. »Nur was?«
»Ich muss meine Großeltern fragen, vielleicht wissen sie etwas darüber.« Shade schritt neben ihm den Hang hinab zu ihrem Leihwagen. »Meine Grandma Maud wurde in Bridgeport geboren, und Baba Grimes wuchs in Willow Springs auf. Es müsste doch etwas über das Vorhaben von Lionel Broadbaker bekannt sein.«
Roque blieb stehen. Sie konnten schon den Parkplatz durch die Bäume hindurch erspähen. »Die Bevölkerung sollte informiert worden sein, ja.«
»Selbst wenn nicht, weiß zumindest die Behörde, die den Antrag genehmigt hat, Bescheid, und die Angestellten hätten die
Weitere Kostenlose Bücher