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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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Seele. In den Wäldern gewann sie Abstand vom Stress und vergaß jeglichen Ärger.
    Im Mono County gab es keinen Smog und keinen permanenten Verkehrslärm. Nachts hörte man höchstens vereinzelte Autos, ansonsten zirpende Grillen und das Rascheln von Laub. Hier tickten die Uhren langsamer. Das Leben war einfacher, bescheidener und auch ärmer, aber man nahm sich selbst und seinen Nachbarn mehr wahr. Darauf kam es doch eigentlich an und nicht darauf, arbeiten zu gehen, um die horrenden Mieten und Lebensmittelpreise in L.A. zahlen zu können.
    Woher kam auf einmal dieser Sinneswandel, fragte Shade sich und stieg aus. Sie hatte ihre Großeltern ja schon öfter besucht. Doch dieses Mal klebte ihr Blick nicht am Asphalt, sondern sie spähte hinüber zu der imposanten Bergkulisse und den Wäldern, die den Ort einrahmten. Ihre Gedanken waren hier und nicht bei ihrem Job.
    Dass sie sich wieder für die schönen Dinge im Leben interessierte, hatte sie Arthur Ehrman und Roque zu verdanken. Art hatte ihre Liebe zur Fauna und Flora wiedererweckt, und der Eisengel hatte ihr, ohne es zu wissen, gezeigt, dass es Wichtigeres im Leben gab, als durch den Tag zu hetzen und den Mann zu finden, der perfekt zu ihr passte; der dieselben Interessen, Sichtweisen und Ziele hatte – er existierte nicht! Darum ging es auch gar nicht, sondern darum, ob man entgegen aller äußeren Umstände zusammen sein wollte, ob man bereit war, für die Beziehung zu kämpfen, Kompromisse einzugehen und an den anderen zu glauben.
    Das alles traf auf Shade zu. Doch Roque hatte die Hoffnung verloren, sein Schicksal selbst bestimmen zu können. Langsam steckte er sie damit an, aber sie wehrte sich dagegen. Sie würde nicht aufgeben. Sie durfte nicht! Dann wären sie endgültig verloren.
    So leise wie möglich schloss sie die Wagentür, als befürchtete sie, Mr. oder Mrs. Boyd könnten sie hören, aus ihrem Heim gestürmt kommen und ihr Vorwürfe machen. Glücklicherweise hatte sie auf der rechten Seite des Hauses ihrer Großeltern parken können. Die Eltern ihres ehemals besten Freundes wohnten zur Linken. Sie musste also nicht an deren Fenster vorbei. Trotzdem wuchs das mulmige Gefühl in ihrem Magen, als sie zum Eingang ging.
    Shades Schritte wurden automatisch immer länger und schneller. Sie wagte kaum zu atmen und drückte ihre Fingernägel in die Handballen, bis es schmerzte. Mit eingezogenem Kopf, als würde es regnen, eilte sie über den Bürgersteig und presste ihren Körper an die schwere kunstvoll verzierte Holztür. Kurz lockerte sie ihren verkrampften Nacken, dann drückte sie auf den Klingelknopf.
    Mit den Fingerspitzen fuhr sie den geschnörkelten Namen Grimes nach, den Maud in eine Tonscheibe geritzt und mit weißer Farbe nachgemalt hatte. Darunter tummelten sich zwei Eichhörnchen, denn das waren die Lieblingstiere ihrer Granny. Das Schild hing schon seit Shades Kindheit neben dem Eingang. Wenn sie als Mädchen davorgestanden und es betrachtet hatte, hatte sie sich immer zu Hause gefühlt. Wann hatte sich das geändert? Mit Kids Tod oder erst, nachdem sie in die Großstadt gezogen und sich entfremdet hatte?
    Die Tür ging einen Spaltbreit auf. Mauds rundes fröhliches Gesicht erschien, dann auch der restliche füllige Körper. »Shade!«, rief sie erfreut und zog sie an ihre üppige Brust.
    Shade hatte nie jemanden mit einem warmherzigeren Lächeln kennengelernt. Innig umarmte sie ihre Großmutter, strich über ihren Rücken und die weichen Rundungen unter dem rauen Stoff des Rollkragenpullovers, der so alt war, dass er Tausende Male gewaschen worden sein musste. »Granny, ich bin so glücklich, dich zu sehen!«
    Viel zu früh löste Maud sich von ihr und schob sie sanft beiseite. »Wo ist dein Freund?«
    »Wer?!« Irritiert hob Shade ihre Brauen.
    Mauds Augen strahlten. »Na, der gut gebaute Mann, mit dem man dich aus der Bridgeport Medical Clinic hat kommen sehen!«
    »Erwischt«, dachte Shade und spürte, wie ihre Wangen mit einem Mal brannten.

Neunzehntes Kapitel
    Schachmatt
    »Das ist nur ein Bekannter.«
    »Ach ja?« Maud schloss die Haustür hinter ihnen. »Dafür hast du aber ziemlich rote Ohren bekommen.«
    »Na ja, er sieht ja auch nicht übel aus«, gab Shade zu, und um von Roque abzulenken, wollte sie gerade fragen, ob ihr Großvater im Wohnzimmer säße, weil das nervige Plärren einer TV-Werbung zu ihr drang. Aber sie kam erst gar nicht dazu.
    »Kindchen, das weiß ich nicht, ich habe ihn ja nicht selbst gesehen. Cecilia – eine

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