Eisige Versuchung
so.« In Windeseile dachte Shade sich eine Ausrede aus. »Ich habe ihn in einem Café sitzen gesehen und einige Leute über ihn reden hören. Sie mochten ihn wohl nicht sonderlich. Auch die Kellnerin bediente ihn nur widerwillig. Aber er wurde immerhin gewählt, also dachte ich mir, dass er ja bei den meisten Einwohnern beliebt sein müsste. Wie auch immer …«, stammelte sie und knetete ihre Hände in ihrem Schoß. »Da sich gleich mehrere Gäste über ihn beschwert hatten – leise natürlich, sodass er es nicht hörte –, wunderte ich mich.«
»Man kann eben nicht jedem gefallen.« Ihr Großvater spielte jedes Problem herunter und ging Streit für gewöhnlich aus dem Weg. Selbst wenn er Ärger mit seiner Ehefrau hatte, war er früher lieber stundenlang durch die Wälder gewandert, als auch nur ein böses Wort ihr gegenüber fallen zu lassen. Wenn er wieder heimkehrte, hatten sich beide abgeregt, und alles war wieder gut.
Demonstrativ laut stellte Maud die Spraydose zurück. »Wer weiß schon, ob bei der Wahl alles mit rechten Dingen zuging.«
»Wie sollte er sie denn manipuliert haben, Darling?«
»Das haben Putin und Medvedev auch geschafft«, störrisch reckte sie ihr Kinn höher, »und ihnen schaut ganz Russland auf die Finger!«
Albert hob mahnend seinen Zeigefinger. »Verbrenn dir nicht die Zunge!«
»Und du, sei nicht so naiv! Ich schütte uns Kaffee auf.« Maud ging in die offene Küche, die nur ein Tresen vom Wohnbereich trennte, stellte die Maschine an und setzte Wasser auf.
Sie war das Gegenteil von Baba. Wenn sie sauer war, schimpfte sie wie ein Rohrspatz. Aber sie durchschaute die Menschen, weshalb Shade sie als die bessere Informationsquelle erachtete. Wenn sie allerdings erst einmal jemanden auf dem Kieker hatte, ließ sie kein gutes Haar an ihm – egal, was er auch tat. Daher musste Shade abwägen, was sie glaubte und was Mauds pure Freude an der Lästerei war. In einer kleinen abgelegenen Gemeinde wie dieser hatte man nicht viel mehr zu tun, als über den Nachbarn zu reden. Klatsch und Tratsch ersetzten Kino, Theater und Shopping-Mal gleichermaßen.
Begleitet vom Klappern des Geschirrs, das ihre Granny aus dem Schrank über der Spüle nahm, sagte Albert: »Hartcourt hat dafür gesorgt, dass die freiwillige Feuerwehr einen neuen Löschwagen bekam. Das fand ich sehr nett von ihm.«
»Und wer hat das bezahlt? Das Einsatzfahrzeug wurde aus unseren Steuergeldern finanziert!«
»Du redest aber auch alles schlecht! Immerhin hat er sich für uns eingesetzt, das tut sonst niemand.«
»Er hat ja nicht in seine eigene Tasche gegriffen, sondern in unsere.« Maud stellte vor jeden eine Tasse hin. »Und dann ließ er sich von der Presse vor dem neuen Gefährt ablichten, wie ein Jäger vor einem erlegten Bären. Er hat sich unverdientermaßen als Wohltäter feiern lassen.«
Baba ergriff seinen Gehstock, und einen Augenblick war Shade unsicher, ob er aufstehen und seiner Frau helfen oder ihr damit einen Klaps auf den Hintern geben wollte. Er tat weder das eine noch das andere, sondern neigte sich lediglich in seinem Sessel nach vorn und stützte sich darauf ab. »Er hat Gutes für das County getan, deshalb hat man ihn gewählt. Das ist Politik.«
»Das ist Vortäuschung falscher Tatsachen und Manipulation.« Missbilligend spitzte Maud die Lippen und holte Milch und Zucker.
»Eben, Politik.« Shade zwinkerte ihrem Großvater zu und stand auf. »Soll ich dir zur Hand gehen, Granny?«
»Von wegen – du bist doch unser Gast!« Sanft drückte Maud sie auf die Couch nieder.
»Earl Hartcourt hat die Tochter des Gemeindevorstehers geheiratet.« Das Gluckern der Kaffeemaschine untermalte Alberts Worte. »Wenn eine so nette Frau wie Wendy ihn liebt, kann er kein schlechter Mensch sein.«
Da der Wasserkessel pfiff, eilte Maud in die Küche und nahm ihn vom Herd. »Er hat sie umgarnt wie dich auch. Seit der Hochzeit vor drei Jahren hat sie zehn Kilo abgenommen.«
»Um ihm zu gefallen.«
»Wendy sieht krank aus wie eins dieser Magermodels aus dem Fernsehen. Die Knochen auf ihrem Dekolleté stehen heraus, und ihre Arme erinnern an Zahnstocher.« Maud erschauderte sichtlich.
»Das ist heutzutage nun mal modern. Schau dir Shade an!« Nonchalant zeigte er mit seinem Stock auf seine Enkelin.
Energisch kam Maud zu ihm, ließ einen Pfefferminztee-Beutel in seine Tasse fallen und füllte sie mit Wasser, weil Babas Magen empfindlich war und er von Kaffee Sodbrennen bekam. »Gegen die Frau des Sheriffs sieht sie
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